Leben um zu lieben.
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steht, mit den erforderlichen Modulationen, Pausen und Haltepunkten, einen Leitartikel vor; dann hört der Eine von den Clubmitgliedern mir mit offenem Munde zu, und wenn ihm scheint, daß die Zeitung Recht habe, nickt er beifällig mit dem Kopfe; ein Anderer wendet sich mit seinem Gedanken nach Haus, wo die Frau ihm das Abendessen bereitet; ein Dritter schläft ein.
Aber zuweilen ereignet es sich auch, daß wir uns ein wenig unterhalten über das weltliche Leben von Trezeri, wohin alle Jahr im Monat Juli von weit her ganze Nester voll piemontesischer und lombardischer Kinder kommen, um sich in dem Sand am Strande des Meeres zu vergraben. Und mit den Kindern kommen die Mamas, begleitet von den Mägden und, am Sonnabend, besucht von den Ehemännern, welche den Sonntag damit verbringen, sich zu langweilen und am Montag mit dem ersten Zuge wieder abreisen. Den Rest der Woche arbeitet die Jugend von Trezeri daran, diese Verlassenen zu erobern. Um die Wahrheit zu sagen, es gelingt nicht immer; dennoch hat man alljährlich erlebt, daß von den am Strand ausgestellten Fallen und von den ins Meer geworfenen Netzen eines wenigstens einen Fang gemacht hat. Dann gibt es viel zu reden im Club.
Das Jahr jedoch, welches ich meine, schien ein dürftiges zu sein; der Juni war schon eine volle Woche alt, und noch waren die Wohnungen unvermiethet, welche Trezeri bereit hält für die Stammgäste von Mailand und Turin. Im Club sagten wir, daß der Aufenthalt in den Alpen Mode geworden sein müßte, und daß das Gebirge sich am Meere rächen wolle.
Ich selbst hatte den Bademeister gesehen, einen alten Esel, schwarz, mager und krumm wie ein verbogener Nagel, und das Jahr zuvor, nicht sehr erbaut davon, daß der Kinder zu viel und die Mütter zu ängstlich wären, ich, mit diesen Augen, hatte ihn gesehen, wie er am Ufer umherstrich, seine nackten Füße betrachtend und nach dem Winde schnuppernd, ob der ihm nicht vielleicht so ein Dutzend Kinder aus den Strand niedersetzen werde, deren Mütter bereit waren, jedesmal ein Trinkgeld zu geben, so oft ihnen Toni den Sohn aus den salzigen Fluthen zurückgebracht hätte.
Auf alle Fälle hatte Toni zwei Badehütten errichtet, um dem nichtswürdigen Geschick zu verstehen zu geben, daß wie er als Bademeister, so möchten nun auch alle Anderen ihre Pflicht und Schuldigkeit thun! . . Und Jedermann weiß, daß die Pflicht und Schuldigkeit des Geschickes während der Sommermonate diese sein sollte: nachdem es das ganze Jahr lang, Gott weiß was für Krankheiten in den Städten ausgesäet hat, sie nun ein wenig durch das Meer zu kuriren. Solches behauptete Toni jeden Tag, und als er von der erbärmlichen Concurrenz des Gebirges hörte, rief er aus:
„O, was sagen Sie mir? Das Gebirge! Was kann das Gebirge Gutes thun? Sagen Sie es, Herr Doctor!"
Um den Betrübten zu trösten, setzte ich die Heilwirkung des Gebirges auf ein Geringes herab im Vergleich zu der des Meeres, welches der Luft, die man einathmet, einen wohlthätigen Salzgehalt verleiht. Auf die Seeluft allerdings gab Toni nicht viel, desto mehr auf das Wasser, und indem er um Entschuldigung bat, daß er dabei bleibe, behauptete er, das Wasser sei ganz etwas Andres.
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