Heft 
(1891) 67
Seite
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Deutsche Rundschau.

Massimo War noch in vielen Dingen naiv; in vielen war auch ich es, trotz der Universität und des Hospitals; aber der Instinkt ist immer schlau. Ich rieth daher meinem Freund, aus der Stelle dem Fräulein seine Erklärung zu machen, damit ich durch den Anblick ihrer Liebe von der meinigen geheilt werde; und Massimo machte seine Sache so gut, daß er eine Woche später um die Hand der Erzieherin anhielt, die ihm zuerst mit ihren Paradiesesaugen ins Gesicht schaute, dann schweigend das zarte Händchen in die Hand des Verliebten legte.

Man mußte die Besriedigung Massimo's sehen, mit welcher er mir ver­kündete, daß sie Verlobte seien! Dieses Wort schien ihn vollständig sicher zu machen, und selbigen Tages ging er zu Fuß nach Quattrozeri, um den Ring zu besorgen.

Das Fest war nicht lang, denn in jenem Jahre hatte der August Flügel, und auch die wenigen Septembertage, welche die Familie des Banquiers noch sür Trezeri zugestand, eilten rasch dahin.

Massimo blieb bis zuletzt als mein Gast, entschuldigte sich Abends und Morgens, daß er mich zu lange belästige, woraus ich ihm jedesmal versicherte, daß er mir keine Last, daß er mir vielmehr ein großes Vergnügen mache, und ich sagte die Wahrheit.

Als die Familie des Banquiers abgereist war, blieb Massimo wie gedanken­los auf dem Bahnhof von Trezeri; man hätte glauben können, seine Seele oder seine Vernunft sei mit dem Fräulein davongefahren.

Ich nahm ihn unter dem Arm, und ließ ihn ein Stück Weges im Trabe machen, den Berg hinauf, mit dem Vorwände, daß ich in größter Eile einen Schwerkranken zu besuchen habe.

Ist es ein so ernster Falld" fragte er, indem er Mühe hatte, mir zu folgen, denn er hatte kürzere Beine als ich.

Nur gut, daß Du gesprochen hast! ein Zeichen, daß die Zunge Dir noch gehorcht; ein Zeichen, daß die Zelle, welche das Geschäft hat, an Fräulein Julie zu denken, müde geworden ist. Schön von der Zelle! Wenn Du nicht ge­sprochen hättest, so würde ich Dich in diesem Schritt bis aus den Gipfel des Berges geschleppt haben; jetzt können wir Athem schöpfen."

Und der Schwerkranked"

Trezeri hat in diesem Augenblick keinen solchen, Gott sei Dank; der, welchen Wir besuchen, hat sich einfach einen Arm ausgerenkt; ich habe ihn gestern ein­gerichtet, und wir wollen eben sehen . . . Aber blicke doch einmal aus dies herrliche Meer, welches Dir einst so sehr gefiel; sieh dort Toni, der die letzte Badehütte auseinander nimmt; von hier sieht er gar nicht verdrießlich aus, und vielleicht ist er es auch nicht, weil er das Trinkgeld vom Banquier erhalten hat. Aber freilich, die Menschen scheinen immer besser, wenn man sie von der Höhe aus betrachtet."

Ach ja, das Meer! wie schön ist es!" seufzte Massimo, und suchte sich von dem Gedanken los zu machen, der ihm keine Ruhe gab;welche seltsame Palette hat es heute ausgebreitet! am Ufer zartes Grün, aus der Höhe dunkles Azur, am Horizont Nebel oder Asche ... wie die ferne Zeit."