Leben um zu lieben.
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Die ferne Zeit bedeutete sicherlich den Tag der Hochzeit mit Fräulein Julie; aber ich that, als verstände ich nicht, und setzte die Betrachtung des Meeres fort.
„Siehe dort! was zum Teufel ist das Schwarze dort hinten? Du, der Du gut siehst, müßtest unterscheiden können, ob es ein Fisch ist oder ein Stück Trümmer ..."
Massimo blickte eine Weile aufmerksam hin und versicherte mich, daß es eine Boje sei, welche zur Bezeichnung eines Netzes angebracht werde. Aber als ich ihm von dem beweglichen Silbersaum sprach, welchen die Bewegung um das unendliche Meer zog, und von den Goldreflexen, welche man da und dort wahrnahm, hatte er kaum^ein Wort^der Beistimmung. Er war schon wieder bei seiner Verlobten.
Nun besann ich mich auf eine Arznei, die besser ist für die Verliebten, und erweiterte ihm den Horizont mit wenigen Worten:
„Sprich mir von Deiner Julie; was hat sie Dir heut Morgen gesagt? welche Versprechungen habt Ihr Euch gemacht? wie viel Küsse hast Du ihr gegeben? wie viele von ihr zurückbekommen? Ich will Alles wissen."
Er erwiderte trübselig:
„Nur einen Kuß auf dem Bahnhof; dann führte der Zug sie fort."
„Das habe ich gesehen . . . Die Familie des Banquiers war dabei, und die Leute sperrten die Augen auf .. . aber vorher? im Geheimen? wie viele?"
Sehr viele, sehr viele; aber sie verloren allen Werth gegen den einen im Momente der Abreise. Und auch die Versprechungen, die man sich gegeben, ließen die Zukunft nicht allzu heiter erscheinen für ein nervöses Temperament wie dasjenige Masstmo's: er sollte erst Doctor der Medicin werden und Fräulein Julie die Erziehung der Mädchen vollenden; sie waren nicht reich, weder der Eine noch der Andere, und bevor man zusammen ein Haus gründete, mußte man wenigstens so viel haben, um zu leben.
„Wir werden mit sehr Wenigem auskommen," schien das Fräulein ihm versprochen zu haben, um ihn zu trösten; aber wenn mein Freund bedachte, daß, um Doctor zu werden, ihm noch zwei volle Jahre fehlten, und dann noch ein paar Jahre der Praxis im Hospital, und dann die Anstellung in irgend einem Nest, und dann erst die Patienten — fürwahr, wenn er alles Dies bedachte, mochten ihm die Arme Wohl am Leibe heruntersinken, und er sagte:
„Sie kann warten; sie hat mir erklärt, daß die Verlobten in Deutschland zwei, drei, vier Jahre warten, ehe sie sich heirathen, und ohne viel zu leiden; aber wären wir nur wenigstens an demselben Ort, sähen wir uns wenigstens alle Tage. In Berlin geht der Bräutigam ins Haus der Mama, holt sich seine Braut, und führt sie im Thiergarten spazieren bis zehn Uhr Abends. Auf die Art kann man warten, ... so würde ich auch warten . . ."
Ich schüttelte den Kops, da ich starken Zweifel hegte, daß mein Freund selbst auf die Art so lange zu warten im Stande sein werde.
Um es kurz zu machen, anstatt zu studiren, verfiel Massimo aus Ungeduld darauf, Pläne für unmögliche Speculationen zu machen. Wenn man ihm zuhörte, so hatte er immer das Zeug zum Speculanten gehabt; aber was er träumte,