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Deutsche Rundschau.
War sehr schwer: es sollte Alles ohne Capital und im Handumdrehen gemacht Werden — vier und vier sind acht.
In diesem Seelenzustande verließen wir uns, und wir sahen uns nicht wieder. Eine kurze Zeit hindurch schrieb er mir regelmäßig, und ich erfuhr, daß er den medicinischen Cursns nicht besuchte, daß er ein von seinem Vater ererbtes Häuschen verlaust und den geringen Ertrag zu Speculationen verwandt habe, die alle schlecht ausgefallen waren. Von der letzten, welche ein Stück Gold einbringen sollte, hörte ich nichts mehr, und nachdem ich vergeblich mehrmals nach seinem Heimathsort, nach der Universität geschrieben hatte, und mir der Gedanke gekommen war, mich beim Bürgermeister nach ihm zu erkundigen, erhielt ich zur Nachricht, daß er nach diesem letzten „goldenen" Geschäft ein allerletztes in Monte Carlo gemacht hatte. Auch dieses war ihm nicht gelungen; hierauf, nachdem er ein ganzes Jahr vergeudet, und ihm schien, daß er sich von Julie zu weit entfernt habe, um sie jemals wieder erreichen zu können, war er nach Südamerika gegangen. Wohin? Nicht einmal der Bürgermeister wußte es; er schrieb mir nur, daß der Betreffende sich mit anderen Auswanderern nach Rio eingeschifft. Ich hatte nichts weiter weder von ihm noch von Fräulein Julie gehört.
Erst zwei Jahre später erhielt ich einen Brief von der Erzieherin, worin sic mich bat, ihr irgend eine Nachricht über ihren Verlobten zu geben, wenn ich Etwas von ihm wüßte, da sie seit sechs Monaten keine Briefe mehr erhalten habe. Mir ist folgender Satz in Erinnerung geblieben: „wenn ich Dem Gehör geben müßte, was mein Herz mir sagt, so würde ich trostlos sein — und doch hoffe ich noch."
Aber verwickeln wir uns nicht in andere Briese; lesen wir den zu Ende, den wir angefangen haben:
„So geht unser Leben ruhig, fast heiter dahin. Mein Alter — denn ich bin alt, lieber Doctor, älter als Sie sich vorstellen können — hat sich einen lichten Ausblick bewahrt, der mir vielleicht vom Himmel kommt. Ich denke viel an die theuern Menschen, welche ich geliebt habe, und die ich sicherlich in einer anderen Welt wiedersinden werde; aber ich habe keine Eile, zu ihnen zu kommen, denn sie leben noch in meinem Herzen, und bis in meine Träume. Dies Geplauder soll nur den Boden ebnen für eine große Belästigung, welche ich Ihnen bereite; wir haben beschlossen, Marie und ich, nach Italien zu gehen, nach der Riviera von Genua, nach dem unvergeßlichen Trezeri, wo meine ganze Jugend zurückgeblieben ist. Mein Töchterchen hat mich so viel von dem Zauber dieses Meeres sprechen hören, daß sie sich darin verliebt hat. Und nun möchte ich Sie bitten, lieber Doctor, mir eine Wohnung von einigen hübschen Zimmern zu verschaffen; fünf oder sechs genügen, denn wir bringen nur die Köchin mit. Wir würden sofort kommen, wenn sich eine Unterkunft für uns findet. Verzeihen Sie die Freiheit und betrachten Sie mich als
- ' Ihre ergebenste Freundin Julie."