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Deutsche Rundschau.
Weitem sah, daß die „Mama" in die Hütte getreten war, lief sie rasch nach dem Strand, um sie dort zu erwarten, und nun, da Julie sich im Wasser befand, hielt sie sich ihr zur Seite, laut mit ihr redend in ihrer Sprache, die Worte mit Gelächter unterbrechend. Die alte Erzieherin lachte auch ein paar Mal; aber was für ein Lachen war das!
Meiner Vorschrift gemäß wandte sich Julie, nachdem sie einmal unter- getaucht, gegen das Ufer; und da ich bemerkte, daß sie sich schäme, jetzt von mir gesehen zu werden, wo die indiscrete Welle ihr den Bademantel an den hageren Körper geklebt hatte, so kehrte ich mich ab, um Toni Etwas zu sagen. Sie benutzte den Augenblick, um aus dem Meere in die Hütte zu eilen; Marie suchte noch einmal das Weite und verschwand ab und zu in den Wogen. Aber den reizenden Anblick, welchen das Mädchen mir bieten Würde, wenn sie aus dem Wasser stieg, wollte ich nicht verlieren; welche List auch Fräulein Julie, die sich mir wieder zur Seite gesellte, anwenden mochte, um mich am Hinsehen zu hindern, ich sah hin und bereute damals nicht, hingesehen zu haben, und bereue es auch heute noch nicht.
„Sie ist ein herrliches Mädchen," sagte ich zu Fräulein Julie, als Marie in der Hütte war.
„Und so gut," erwiderte Julie; „möchte sie das Glück haben, das sie verdient!"
Ich zeigte ihr einen entfernten Stuhl und bot mich an, ihn zu holen; sie lächelte und ließ sich aus den Sand nieder.
„Erinnern Sie sich? So machte ich es damals."
Ich hatte seit einer Weile im Sinn, sie zu fragen, wie sie Trezeri finde; da ich aber fürchtete, daß der Eindruck des Wiedersehens von Plätzen, wo sie geliebt und von Glück geträumt, ihr zu viel Schmerz bereitet hätte, so wollte ich die Dinge nicht verschlimmern, indem ich Plötzlich auch die Erinnerungen wieder erweckte. Als ob sie in meinen Gedanken lese, fuhr sie selber fort: „Es ist Alles geblieben wie früher!"
„Scheint es Ihnen?"
„Wenigstens, was ich bis jetzt gesehen habe; da ist ein Fleischerladen, der zu meiner Zeit nicht da war, und der Bäckerladen ist verschwunden, um Ihren Club zu vergrößern; habe ich nicht recht gesehen? Ich bin schon vielen Leuten begegnet, die damals jung waren; ich habe sie unter den Runzeln und Weißen Haaren Wiedererkannt; Einige erkannten auch mich wieder, und haben mir traurig zu- gelächelt; es erschien vielleicht ihnen wie mir, wir hätten Alle eine schlecht gelungene Maskerade aufgesührt. Was sagen Sie dazu?"
„Es ist wahr. Wenn man an einem Orte lebt und immer dieselben Gesichter sieht, dann merkt man nicht, daß sie altern; wenn aber Einer zurückkehrt, den wir lange nicht gesehen haben, dann sind wir betrübt, weil er so sehr verändert ist; in der That schmerzt uns das nur, weil er uns schweigend sagt: auch Ihr seid alt geworden."
Diese Philosophie, in Form eines Scherzes, machte sie kaum lächeln. Dann sprach sie mir von ihrer Absicht, die Plätze zu sehen, welche ihr einst theuer Waren; eine gewisse Pinie, welche wie ein ausgespannter Regenschirm auf dem