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Deutsche Rundschau.
Diese letzten Worte mit einer andern Stimme gesprochen und von einem ärgerlichen Gesichtsansdruck begleitet, ließen mich den Kopf wenden, um zu sehen, wer gekommen sei, und ich erblickte den jungen Advokaten Emilio, den Sohn des Bürgermeisters von Quattrozeri. Ein vortrefflicher junger Mann, in Wahrheit ein guter Sohn, jeder möglichen Art von Verehrung fähig, ausgenommen eine: er verehrte seinen Vater, das Gedächtniß seiner seligen Mutter, die Freunde, die Wahrheit, die Gerechtigkeit, und sogar auf seine Weise, den Ewigen Vater, den er nicht Gott nennen wollte, sondern nur „den großen Baumeister des Weltalls", wie ihn seine Brüder, die Freimaurer, gelehrt hatten. Er war eben Doctor der Rechte geworden. Vor einigen Tagen hatte er mir seine Dissertation geschickt, in welcher er eine wichtige Frage der gerichtlichen Medicin behandelt. Noch War ich ihm den Dank dafür schuldig, und als Emilio auf mich zukam, erhob ich mich, um ihm auszusprechen, wie sehr ich mich gefreut habe; aber er machte nur eine Bewegung des Erstaunens, drückte mir eilig die Hand, und verbeugte sich, um Fräulein Julie zu grüßen und ihr höchst liebenswürdig zu sagen, daß er sich glücklich schätze, sie Wieder gesehen zu haben. Fräulein Julie, unfähig ihren Unwillen offen zu zeigen, war doch nicht sehr geschickt darin, ihn ganz zu verbergen; sie machte ein Zeichen der Zustimmung, wie um zu sagen, daß auch sie das Glück zu schätzen wisse, fügte aber kein lügnerisches Wort hinzu, um glauben zu machen, daß sie sehr befriedigt darüber sei.
Aber wenn auch; der eben erst in die Toga geschlüpfte Advokat war so glückselig, so sehr seiner gewiß, daß er nicht an die Möglichkeit glaubte, einem Andern könne seine Gegenwart lästig, oder seine Vertraulichkeit taktlos erscheinen.
„Und die Signorina ist zu Haus gebliebend" . . . fuhr er fort; „oder . . . sollte sie vielleicht in der Hütte feind ... Ja . . . will sie ein Bad nehmen?"
„Sie hat es schon genommen," sagte rasch die ehemalige Erzieherin, und ließ eine unerklärliche Befriedigung durchblicken, daß der junge Rechtsgelehrte zu spät gekommen sei.
Nun wandte sich der junge Rechtsgelehrte zu mir, um bescheiden meine Glückwünsche entgegen zu nehmen für seine ausgezeichnete Dissertation und den Scharfsinn, mit welchem . . .
Aber während ich vom Scharfsinn sprach und er mit Vergnügen mein Lob anhörte, trat Marie aus der Badehütte, frischer, schöner, als sie hineingegangen war. Die tiefschwarzen und noch vom Salzwasser feuchten Haare gelöst über den Schultern, schien sie ein Mädchen, eigens vom Himmel gesandt, die jungen Advocaten verliebt zu machen, zum Verdruß der alten Mediciner, welche nicht im Stande sind, die Verliebten zu heilen, Wohl aber, wenn Jupiter ihrer nicht Acht hat, sich ein letztes Mal zu verlieben.
Ich, mit des Himmels Hülfe, bin diesem Unheil entgangen, und kann deswegen Punkt für Punkt erzählen, wie die Sache weiter verlaufen ist.
III.
Ich bin nicht ganz sicher, aber mir schien, daß Marie, als der junge Advocat. mit dem Hut in der Hand, sie fragte, wie sie sich befinde, ob das Wasser kalt sei, und viele andere Dinge, ein wenig roth geworden; aber ohne die geringste