Heft 
(1891) 67
Seite
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Deutsche Rundschau.

Mögen Pessimisten in der Verleihung eines hohen russischen Ordens an den Präsidenten der sranzösischen Republik, Carnot, dessen Friedensliebe sich übrigens bisher in vollem Maße bewährte, ein welterschütterndcs Ereigniß sehen, oder in der Ermordung des bulgarischen Finanzministers Beltschow ein untrügliches Kennzeichen für die un­mittelbar bevorstehende Aufrollung der orientalischen Frage erblicken, so darf andererseits mit Rücksicht auf die Widerstandsfähigkeit des europäischen Friedensbündnisses eine ruhige Auffassung der internationalen Beziehungen Platz greifen. Zeigte sich doch gerade aus Anlaß der jüngsten Vorgänge in Sofia, daß die Zustände in Bulgarien durch das zielbewußte Vorgehen des Prinzen Ferdinand und seines ersten Berathers Stambulow befestigt worden sind. Kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß der Mordanfall gegen den Ministerpräsidenten selbst gerichtet war, so daß der Finanz­minister Beltschow, der sich im Augenblicke des Verbrechens in der Begleitung Stambulow's befand, allem Anschein nach gar nicht zum Opfer ausersehen war, so gehören doch derartige Verbrechen auf der Balkanhalbinsel nicht zu den Seltenheiten. Bedeutsam erscheint aber, daß die bulgarische Regierung nach dem Vorgänge, der angeblich russischen Interessen dienen sollte, eine durchaus maßvolle Haltung an den Tag legte. Andererseits wäre es aber durchaus verfehlt, die russische Regierung selbst für den begangenen Meuchelmord verantwortlich machen zu wollen, wenn selbst die Mörder im Dienste Rußlands zu handeln glaubten. Der Zar, der sicherlich keine Veranlassung hat, gewissermaßen eine Prämie auf Meuchelmord setzen zu lassen, ist jedenfalls der erste, der das Verbrechen in Sofia aufs Schärfste verurtheilte. Mit der angeblichen Absicht Rußlands, nunmehr aus der Balkanhalbinsel die orientalische Frage in Fluß zu bringen, hängt also wohl die Ermordung BeltschottLs kaum zusammen.

Jenseits des Weltmeeres zeigten sich am politischen Horizonte gleichfalls schwarze Punkte, als die Greuelthaten von New-Orleans, bei denen wehrlose Angeklagte von einem Theile der Bevölkerunggelyncht" wurden, mittelbar zu einem diplomatischen Conslicte zwischen den Regierungen Italiens und der Vereinigten Staaten von Nord­amerika Anlaß boten. Der Ermordung des Chefs der Polizei. Hennessy, angeklagt, war eine Anzahl Italiener von der Jury von New-Orleans freigesprochen worden, Während die öffentliche Meinung in dieser Stadt der Ansicht zuneigte, ein Theil dieser Jury wäre von der Maffia bestochen worden, da die Angeklagten dieser angehörten. Mag nun auch dahingestellt bleiben, ob amerikanische Schwurgerichte sich in der That Bestechungen zugänglich erweisen, so darf doch die Behauptung, daß die Maffia sich wirksam erwiesen habe, nur mit großer Skepsis ausgenommen werden. Wird bereits im Vaterlande der Maffia, Sicilien, mit diesem Begriffe arger Mißbrauch getrieben, da ihr alle Verbrechen zur Last gelegt werden, denen juristischer Scharfsinn und polizei­licher Spürsinn nicht beizukommen vermögen, so läßt sich noch schwerer absehen, wie dieberechtigte Eigenthümlichkeit" Siciliens in großem Stile nach den Vereinigten Staaten verpflanzt worden sein soll; man müßte denn etwa annehmen, daß überall, wo eine Rotte italienischer Verbrecher sich zusammenfindet, die Maffia am Werke ist. Jedenfalls hätte sich aber der Zorn der durch den angeblichen Rechtsbruch in New- Orleans erbitterten Menge an erster Stelle gegen die amerikanischen Einrichtungen, insbesondere die bestechliche Jury, richten müssen, nicht aber gegen die wehrlosen An­geklagten, zumal da das gerichtliche Verfahren gegen diese keineswegs vollständig ab­geschlossen war, vielmehr nach amerikanischem Rechte eine neue Jury berufen werden sollte. Wird von amerikanischer Seite behauptet, daß bereits seit geraumer Zeit das Geschwornenunwesen die heftigsten Vorwürfe herausgefordert habe, so daß der jüngste Wahrspruch nur als letzter Tropfen das volle Glas zum Ueberlaufen gebracht habe, so ist dies ein weiteres Argument dafür, daß die denRichter Lynch" als letzte Instanz anrusende Bevölkerung von New-Orleans besser gethan hätte, gegen ihre heimischen Institutionen Front zu machen. Dies darf jedoch nicht dahin verstanden werden, daß sie etwa gegen die angeblich bestechlichen Mitglieder des Schwurgerichts in der Weise wie gegen die angeklagten Italiener Vorgehen sollte, vielmehr wäre cs ihre Aufgabe gewesen, in gesetzlicher Weise die Mißstände klarzulegen, um Abhülfe herbeizusühren.