Heft 
(1891) 67
Seite
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Politische Rundschau.

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Entschuldigung ansühreu könnte, daß er den Bündnißvertrag zwischen Italien, Deutsch­land und Oesterreich-Ungarn nicht kenne, müßte er doch wissen, daß das durch die Tripelallianz verbürgte Gleichgewicht im Mittelländischen Meere sür Italien von vitaler Bedeutung ist. Die Besetzung Tunesiens durch Frankreich zeigte bereits deutlich genug, in welcher Richtung sich die Wünsche der sranzösischen Republik bewegen. Daß auch im Uebrigen der 8tatu8 c^uo, insbesondere der Besitz Roms durch die Tripelallianz besser gewährleistet wird als durch eine Annäherung an Frankreich, kann Herrn Bonghi nicht verborgen geblieben sein, obgleich er den Bündnißvertrag nicht gelesen hat.

In Italien selbst werden die Annäherungsversuche Bonghi's an Frankreich um so weniger ernst genommen, als letzteres sicherlich nicht gewillt ist,xour 1e8 beaux z'eux äs N. Longüi" auch nur aus handelspolitischem Gebiete irgend welches Entgegen­kommen zu zeigen. Bei der hohen Bedeutung, welche die wirthschastlichen Ver­hältnisse im internationalen Verkehre gegenwärtig beanspruchen dürfen, erhalten die in der sranzösischen Deputirtenkammer bevorstehenden Verhandlungen über den neuen Zoll­tarif ein besonderes Interesse. Der große Zollausschuß, der mit der Vorbereitung dieses Tarifs beauftragt war, hat unter den Auspicien des Schutzzöllners Möline einen Maximal- und einen Minimaltarif ausgearbeitet, von denen jedoch der Letztere seinen Namen sehr mit Unrecht führt, so daß auch auf ihn der Vergleich: 1ueu8 a non lueenäo passen würde. In Wirklichkeit ist er so wenig ein Minimaltarif im wirklichen Sinne des Wortes, daß durch die hohen Zollsätze, wie mit Recht hervorgehoben wird, die betheiligten Staaten genöthigt sein werden, der französischen Republik die Meist­begünstigung zu verweigern, von deren Einräumung die Anwendung des Minimal­tarifs abhängig gemacht werden soll. Hierzu kommt, daß der letztere eine Reihe wichtiger Einfuhrartikel, insbesondere eine Anzahl landwirthschaftlicher Erzeugnisse, über­haupt nicht aussührt oder mit Zollsätzen belastet, die hinter denjenigen des Maximal­tarifs keineswegs zurückstehen. Unter diesen Umständen würde es sich sür die betheiligten Staaten empfehlen, unter einander Vereinbarungen zu treffen, durch die sie in den Stand gesetzt werden, mittelst eines engen wirthschastlichen Zusammenschlusses den Kampf gegen das französische Prohibitivsystem auszunehmen. Nicht verhehlt werden darf, daß hierbei insbesondere zwei Schwierigkeiten werden überwunden werden müssen. Die eine besteht darin, daß die widerstreitenden Interessen der betheiligten Staaten selbst ausgeglichen werden, die andere folgt aus dem Frankfurter Friedensvertrage, laut welchem Deutschland und Frankreich einander die Meistbegünstigung gewähren, so daß Deutschland diejenigen Vortheile, die es z. B. in dem abzuschließenden Handelsverträge mit Oesterreich-Ungarn letzterem Staate gewährt, der französischen Republik nicht vorenthalten könnte.

Hervorgehoben zu werden verdient andererseits, daß in Frankreich selbst eine starke Strömung gegen die weitgehenden Beschlüsse des großen Zollausschusses besteht. Als dieser sich geneigt zeigte, die sür die französische Fabrikation, insbesondere sür die Seidenindustrie nothwendigen Roherzeugnisse mit hohen Schutzzöllen zu belegen, wurden aller Orten Entrüstungsmeetings gehalten, auf denen dann energische Proteste beschlossen wurden. Diese sind auch nicht erfolglos geblieben. Wirkt aber die Un­zufriedenheit der schwer getroffenen Industrien mit dem Kampfe gegen das französische Absperrungssystem zusammen, der von Seiten der zu einer engen wirthschastlichen Vereinigung zusammengeschlossenen Staaten geführt wird, so kann der Zeitpunkt nicht fern sein, in dem die maßgebenden Kreise in Frankreich sich zu einer Umkehr auf wirthschastlichen: Gebiete entschließen müssen. In dieser Hinsicht ist denn auch bezeichnend, daß aus Anlaß der am 6. April vollzogenen Eröffnung der General- räthe, der Vertretungen der verschiedenen Departements, Anträge gegen die geplante Schutzzollgesetzgebung sogleich in der ersten Sitzung eingebracht worden sind. Allerdings fanden in anderen Departements die Beschlüsse des großen Zollausschusses Zustimmung oder wurden sogar für nicht weitgehend genug erachtet. Spiegeln sich nun in den Tspartemental-Vertretungen bereits die wirthschastlichen Gegensätze in Frankreich deutlich wider, so wird dies in der Deputirtenkammer und im Senate, die das letzte Wort