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Deutsche Rundschau.
2. Die Freundinnen haben zuerst in Deutschland Hölderlin tief gewürdigt, niit ihnen Clemens, und den Geschwistern Brentano ist dieser Cultus geblieben. Caroline von Günderode fand in dem unseligen Schwaben einen Religionsverwandten: „Erde, du meine Mutter, und du mein Vater, der Lusthauch" betete sie, dem Aether opserte er und bekannte „ich verstand die Stimme des Aethers, der Menschen Stimme verstand ich nie". Zu dieser Generalbeichte des Verbannten Griechenschwärmers liefert Litz- mann's Buch ans säst siebenhundert Seiten einen erschöpfenden Kommentar. Es ist eine Gabe der Liebe. Der namhafte Gynäkolog war nicht umsonst ein Jugendfreund Geibel's und lyrischem Spiele zugethan gewesen; er sammelte lange Jahre im Stillen die Blätter seines Lieblings, trat in der Muße des Alters mit gründlichen Studien hervor und starb, nachdem er das Buch vollendet und die späten Herbstblumen seiner Lebensgefährtin gewidmet hatte. Ob die Art, immer vor einem Abschnitt biographischen und auch ästhetischen Bericht zu erstatten, dabei oft schon Hauptstellen Wr folgenden Briefe vorweg zu nehmen, ob die volle Wiederholung alles seit Schwab Bekannten und der unverkürzte Abdruck alles so sorgsam Neuansgebrachten das günstigste Verfahren war, darüber ist rächt mehr zu rechten. Die Briese sind sehr auf Einen Ton gestimmt, einen wehmüthigen, langsam in die Nacht verklingenden, der nur die Barbaren, die „Frechen" langweilen kann, aber Geist und Gemüth allmälig bis zu eigener Krankheit bedrängt. Kaum ein heiteres Bild; Hölderlin vergleicht sich einem Blumenstock, der schon einmal in die Gasse hinabgesallen. Die Nähe der Großen Weimar- Jenas beugt ihn, die Liebe bricht ihm das Herz, das Ende ist vierzigjähriger Wahnsinn, in dem er mechanisch fortdichtet mit der alten Meisterschaft des Klangs und vornehmen Worten, aber ohne Zusammenhang. Aus der idyllischen Stille der Kindheit in die Stille der Nacht, die heilig ist wie eine blitzgetrosfene Stätte, führt das Buch: „so durchlauf' ich des Lebens Bogen." Wer es liest, wird auch die unüber- treffene Musik mancher Ode, mancher Hyperionblätter nachhallen hören, wird durch Litzmann mehr als eine Legende zerstört finden und immer wieder den edlen Kopf „Diotima's" (Susette Gontard) vorn andächtig beschauen: „nicht wahr, sie ist eine Griechin?"
3. Von Hölderlin's Gräcomanie zum Wirrwar und Untergang des erst kürzlich in diesen Blättern, im Anschluß an Weinhold's schöne Ausgabe der Lyrik, gewürdigten Goethe'schen Jugendgenossen Jacob M. R. Lenz, vom hellenischen Profil der Muse Diotima zu der von Froitzheim entdeckten Porträts zweier an Stand und Bildung sehr ungleicher Damen, die in Lenzens Leben und Dichten gar seltsam eingriffen, ist ein weiter Schritt. Mit verweilender, lang zurückhaltender Hingebung sammelte und malte Litzmann; rasch in vier Heften nacheinander, die sehr Wohl in eines von gleichem Umfang hätten verdichtet werden können, reichte Froitzheim archivalische und andere Funde dar. Seine Neigung, Lenz aus wirklichen und vermeinten Vorurtheilen auf Kosten Goethe's herauszuhauen, Ueberschätzung des Entdeckten und eine ungestüme Polemik thaten unserer Freude über allerlei gewichtige und leichtere Spenden zur Kenntniß des Straßburger Kreises Abbruch. Weniger wäre mehr, und allzu scharf macht schartig; aber der Sammler entschädigt doch durch manche Gabe für die Fehlgriffe des Darsttllers. Im neuen Heft, dem das Bild der auch mit Goethe verbundenen Baronin von Oberkirch beigegeben ist, spricht Froitzheim maßvoll, nur gegen Weinhold überhebend. Er lichtet biographisches Gestrüpp. Die Briefe enthalten viel Spreu — muß denn Alles gedruckt werden? Sehr hübsch schreibt der elsässische Theolog Rüderer (Juni 1776): „Dem Kaufmann Hab ich ein paar Portraits zur Physiognomik, die er doppelt hatte, aus seinem Portefeuille gemaußt, Hab auch Goethe bekommen, weist den ich Dir wieder geben mußte für die zu Säsenheim, solltest sehn wie ich drüber stolzire und froh bin, er hengt in goldnen Rahm unter Luther."
4. Lenz wurde aus Dämmerung in Umnachtung gezogen, Goethe stand männlich am Steuer, und sein sonuenhaftes Auge sah das gelobte Land elastischer Kunst. Auf wenigen Seiten, die sich den Grimmpreis der Berliner Universität verdienten, stellt Heusler entwickelnd und ohne gelehrtes Gepäck, frisch, anschaulich, geistreich Goethe's