Literarische Rundschau.
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Verhältniß zu den Italienern dar, aus seiner Individualität und aus seiner Zeit heraus, den großen Winckelmann beleuchtend wie den kleinen Bädeker Volkmann. Er declamirt und schöngeistert nirgends auf diesem Marsch in Siebenmeilenstiefeln. Mit dem Gildenhochmuth, der auf Goethe's „Dilettantismus" gönnerhaft niedersah und den wackren Meyer zum Prügelknaben nahm, ist es vorbei. Nicht zu verschweigen scheint uns, auch in einer Skizze der künstlerischen Bildung, Goethe's Aufenthalt in der Düsseldorfer „Gallerie voll Menschengluth und Geistes".
5. Neben Goethe findet Schiller nach einer mehr quantitativ als qualitativ fruchtbaren Zeit nun manche berufene Pflege. Drei Biographen sind am Werk. Minor schreitet rüstig vor. Köster's vortrefflich sundirtes und vortrefflich geschriebenes Buch will erschöpfen, und seine einzige Schwäche, für ein Erstlingswerk verzeihlich genug, liegt in der Neigung, zu viel aufzupacken, nicht bloß in den Schlußanmerkungen. Der Verfasser ist mit reichen Kenntnissen, feinem Stilgefühl und künstlerischem Geschmack daran gegangen, Schiller's Bearbeitungen fremder Dramen für das weimarische Theater weitausschauend und das Einzelne erörternd zu beurtheilen. Nur über die Einrichtung des „Egmont" eilt er, wir wissen nicht warum, hinweg. Die französischen Lustspiele werden, wie billig, kurz abgefertigt. Aber das Maebetheapitel bringt auch eine, zum Theil gegen Werder gerichtete, Analyse der Tragödie, die wirre Geschichte ihres Lebens und Leidens in Deutschland vor Schiller (wo bleibt Herder?), die Zusammenhänge mit Schiller's eigenem Dichten; das Turandotcapitel sucht die Masse deutscher Versuche am Gozzi zu bewältigen; die „Phädra" gibt Anlaß zu zwanglosen und sehr fruchtbringenden Excursen über Goethe und Voltaire; beim „Nathan" galt es, die Abweichungen vom Urtext nicht bloß aus dem Bedürmiß des Theaters, sondern auch aus dem Gegensätze der Dichter herzuleiten. Illberall, für die Nachdichtungen, die ein ausländisches Werk in einen anderen Stil eiudeutschen wollen, wie für die Einrichtungen, die auch ein heimisches Original, nicht immer ohne Gewaltthätigkeit, der Bühne dienstbarer machen, bewährt Köster ein klares, unbefangenes, literarisch und dramaturgisch durchgebildetcs Urtheil, und wir dürfen uns nach solchem Anfang viel Gutes von ihm versprechen. Was kann die vergleichende Literaturgeschichte kräftiger fördern, als die sichere Erkenntniß, wie Schiller mit Shakespeare und Racine verkehrte und ihr Metall mit eigenem legirte?
6. Wir begreifen, was ein reproducirender Künstler wie W. Schlegel gegen Schiller als Dramaturgen aus dem Herzen hatte, so ungezogen diese Einwände ausgesprochen wurden. Wir haben später mit Otto Ludwig's Shakespeare-orthodoxem Credo gegen Schiller abgerechnet. Ludwig hat ein Recht, als Dichter und Kritiker sehr ernst genommen zu werden. Dafür wurde schon durch Freytag, Julian Schmidt, Treitschke, Auerbach, Scherer weithin gesorgt. Mit halsbrecherischen Bearbeitungen posthumer Stücke ist seinem Andenken nicht gedient, aber diese neue Ausgabe sei allen Literatursreunden warm empfohlen. Sie gründet sich auf den gesammten Nachlaß, den die Familie treu verwaltet und hoffentlich über kurz oder lang der Hut des Goethe- Schiller-Archivs übergeben darf, damit Thüringens größter Dichter für alle Zeiten das würdigste Obdach habe. Eine Biographie von A. Stern, mit Benutzung der Briefe, wird beigegeben; die Lyrik sehr vermehrt; einiges an Erzählungen eingereiht, wenn es auch nicht die Höhe von „Zwischen Himmel und Erde" erklimmt; der Band Shakespeare-Studien, bisher obenhin zusammengerafft, neu aus den Kladden herausgearbeitet; von dem Scherbenberg der Entwürfe, die der kranke Grübler immer von Neuem formte und immer wieder zerschlug, sollen nur gerundete Bruchstücke herbeigetragen werden, denn die Masse der Skizzen geht ins Ungeheure und kann hier bloß in einer Uebersicht Vorbeigleiten. Die Ausstattung ist würdig. Bis Weihnachten wird das Ganze in fünf Bänden vorlicgen. Otto Ludwig, dem Dichter von ausgeprägter Eigenart, dem unermüdlichen Arbeiter, dem treuen Mann, ist das Leben so schwer geworden wie wenigen; mögen über seinem Erbe freundliche Sterne leuchten.
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