Heft 
(1891) 67
Seite
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Deutsche Rundschau.

§. Karl von Hase's Leben. Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1890.

Die gesammelten Werke Karl von Hase's bringen in dem unlängst erschienenen elften Bande dessen bereits bekannteIdeale und Jrrthürner" und die noch nicht veröffent­lichtenBriefe aus Italien". Für die zahlreichen Schüler des gefeierten Jenenser Lehrers hat es einen außerordentlichen Reiz, die Art des seltenen Mannes in einem früheren Stadium seiner Entwicklung kennen zu lernen. Denn diese Briefe stammen aus seinem dreißigsten Lebensjahre. Es ist ein anderes Italien, das Hase 1830 sah, als das von heute, ein roman­tischeres, unwegsameres, unverbrauchteres, und Hase betritt es mit der Sehnsucht, die die romantische Schule allen jungen Herzen zu wecken wußte. Gesund, voll Humor und eine Natur von unerschütterlichem Gleichmuth, läßt er sich durch die Unbequemlichkeiten der Reise nicht enttäuschen, durch die Unarten des Volks nicht irre machen und findet so wirklich, was seine hochgespannten Erwartungen gesucht. Dieses tägliche sich Aussprechen über Reise­erlebnisse macht uns bald vertraut mit der liebenswürdigen Art des Verfassers, der in späterem Lebensalter schweigsam war und auch Freunde nicht allzunah an sich herankommen ließ. Man hat den alten Hase oft mit dem alten Goethe verglichen. Auch die vorliegenden Briefe zeigen Parallelen. Wie Goethe seine Berichte an Frau von Stein richtete, doch so, daß die Hauptsache einem weiteren Kreise mit- getheilt werden konnte, so sind Hase's Briefe an eine künftige Geliebte" gerichtet, das heißt an seine künftige Frau, mit der er officiell noch nicht verlobt war und nur in dieser in­direkten Form der Einsendung eines Reisetage­buchs correspondiren durfte. Die Briefe er­halten dadurch etwas Individuelles, ohne doch den Charakter der Erinnerungsblätter zu ver­lieren. Man hat Goethe's Toleranz gegen das papistische Italien gerühmt; sie beruht auf Goethe's Herzensgüte und der Gewohnheit, die Dinge ästhetisch, nicht moralisch zu nehmen. Bei Hase kommt noch zu Beidem das historische Denken, das die katholische Wirklichkeit als ge­schichtliches Product faßt und sich freut, die alten Typen, die er als Gelehrter viel studirt hat, nun in lebenden Formen vor sich zu sehen. Er rechtet mit dem Katholicismus aber auch darum nicht, weil er selbst niemals in dem con- fessionellen Gegensatz gestanden hat. Seine Jugend war erfüllt von den Gedanken der deutschen Philosophie und den Idealen der romantischen Schule; den beschränkten Stand­punkt des Luther'schen Pastoren hat er nie ein­genommen. Sein Protestantismus war zu sehr mit andern Bildungselementen versetzt, um gegen katholisches Wesen stark zu reagiren. So nimmt er den Katholicismus als die für Italien passendste Religion und freut sich der malerischen Staffage, die den Reiz des schönen Landes noch unterstützt. Der Leser aber freut sich dieses Künstlerauges, das das Charakte­ristische der Landschaften und Zustände scharf erfaßt und in treffender Weise zu schildern ver­

steht. Wir sind heute übersättigt mit Büchern über Italien, dennoch wird Niemand es be­reuen, dieses Buch gelesen zu haben; es macht uns mit dem innern Leben eines großen und guten Menschen bekannt, und daß dieser auch andere Interessen hat als die, die man heute bei Theologen voraussetzt, wird kein unbe­fangener Leser als einen Mangel empfinden.

«. Wilhelm Siemens. Von William Pole. Berlin, Julius Springer. 1890.

Werner Siemens hat uns vor einigen Jahren in meisterhaften Zügen den mächtig umgestaltenden Einfluß geschildert, den Natur­wissenschaft und Technik im Bunde auf die geistige und materielle Entwicklung unserer Zeitperiode ausgeübt haben. Aus der einen Seite die Zeit, als Dampfschiff und Locomotive ihre ersten schwachen Versuche machten, als die Menschen mit ungläubigem Staunen die Mähr vernahmen, daß die räthselhafte neue Kraft, die Elektricität, mit Blitzesgeschwindig­keit Nachrichten durch ganze Continente und das sie trennende Weltmeer übermittelte, daß dieselbe Kraft Metalle aus ihren Lösungen aus- schisd und die Nacht mit tageshellem Lichte zu vertreiben vermochte. Heute sind dies alles selbst­verständliche Dinge, ohne welche sich unsere Jugend ein civilisirtes Leben kaum noch vor­stellen kann, in einer Zeit, wo nach Reuleaux' Berechnung für jeden civilisirten Menschen mehrere eiserne Arbeiter Tag und Nacht ar­beiten, wo durch Eisenbahnen und Dampfschiffe täglich nach Millionen zählende Mengen von Menschen und unermeßliche Gütermassen auf weite Strecken in früher kaum denkbarer Ge­schwindigkeit befördert werden, wo der weltver­bindende Telegraph sogar unseren Verkehrsbe­dürfnissen nicht mehr genügt und der Über­tragung des lebendigen Wortes durch das Telephon Platz machen muß, wo die Elektro­technik in ihrem rapiden Entwicklungsgänge der Menschheit immer neue, in ihrer Ausdehnung noch ganz unübersehbare Gebiete für weitere Erforschung und nützliche Anwendung der Naturkräfte eröffnet.

An der Wende dieser Zeit, unter Denen, die den eben geschilderten Fortschritt angebahnt haben, einer der Hervorragendsten, steht William Siemens, der im Jahre 1883 gestorbene jüngere Bruder unseres Werner Siemens. Auch ihn dürfen wir mit Stolz zu unseren Landsleuten zählen; aber, seit frühester Jugend mit allen materiellen und geistigen Beziehungen im eng­lischen Leben fußend, hat er sich so sehr seiner zweiten Heimath angepaßt, daß man ihn auch jenseits des Kanals als einen Zugehörigen reclamirt: kein geringer Ruhmestitel für den Ingenieur, von den ersten und stolzesten In­genieuren der Welt für sich in Anspruch ge­nommen zu werden.

Von diesem William Siemens entrollt uns Pole das Lebensbild, und da des einen Bruders Lebenswege untrennbar mit denen des andern verknüpft sind, gestaltet sich dasselbe zu einer Geschichte des allmäligen Emporblühens der weltumfassenden Unternehmungen, die dem Genie zweier der größten Erfinder unsres