Heft 
(1891) 67
Seite
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Literarische Notizen.

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naturwissenschaftlich-technischen Zeitalters ihren Ursprung verdanken. Die Kunst, die großen Kräfte in der Natur zum Nutzen und Frommen der Menschheit zu lenken, war der Inhalt ihres reichen Lebens, und von diesen Kräften sind es wieder in erster Linie Wärme und Elektri- cität, die sie in die Formen ihrer wunderbaren modernen Entwicklung gezwungen haben. Es hat für Jeden, der mit Verständniß unserer neuesten Culturentwicklung bis in ihreUrsprünge nachgeht, einen eigenthümlichen Reiz, die Lebensgeschichte dieser beiden Männer zu verfolgen, mit deren Namen die Geschichte der elektrischen Tele­graphie, die Entdeckung des dynamo-elektrischen Princips, die Auffindung metallurgischer Pro- cesse, die einem der wichtigsten Constructions- materialien, dein Stahl, die ausgedehnteste Ver­wendung eröffnet haben, für immer untrennbar verknüpft sind. Die Form, in welche der Autor sein Lebensbild gefaßt hat, gestattet es auch dem Laien, sich diesen Genuß zu verschaffen. Niemand, der das vortreffliche Buch zur Hand nimmt, wird es, ohne reiche Belehrung daraus geschöpft zu haben, bei Seite legen.

Nachrichten von der Soester Familie Sybel. 14231890. Von Friedrich Ludwig Karl von Sybel, Regierungs­rath. München, R. Oldenbourg. 1890.

Eine Familie, welcher der bedeutendste der jetzt lebenden deutschen Historiker entstammt und welche außerdem beinahe drei Jahrhunderte hindurch ohne Unterbrechung der Kanzel und der Schulverwaltung befähigte Männer zuge- sührt hat, verdiente es wohl, in einer Mono­graphie behandelt zu werden; denn in ihrer Geschichte spiegelt sich die Tüchtigkeit deutschen Bürgerthums. Der Name des Geschlechts lautet auch Sibel oder Siebet und ist ohne Zweifel nichts Anderes als das alte Sigibald, d. h. Siegwalter, woraus Sigbold, Sibold, Sibel, Sybel geworden ist. Der erste Ange­hörige des Geschlechts, welcher historisch nach­weisbar ist, heißt Hans Sybel; er ward 1432 (so S. 2, der Titel hat 1423), Bürger von Soest, was ebenso gut heißen kann, daß er von Geburt Soester war und, volljährig geworden, den Bürgereid leistete und in die Liste einge­tragen ward, als daß er aus der Fremde zu­zog und in Soest bürgerlich wurde. Als Stammherr des Geschlechts muß aber Cyriakus Sybel gelten, welcher 1605 zwei Kinder hatte und 1619verordneter Stabherr" war, d. h. Erblaßgefülle zu erheben hatte. Die Familie ist in der Reformationszeit lutherisch geworden; und sie gereichte der neuen Lehre sehr zur Stütze, indem nicht weniger als elf Theologen (neben einem Rektor, einem Mediciner und einem Juristen) aus ihr der Reihe nach hervor­gingen, über welche das Buch alle erreichbaren Nachrichten mittheilt. Von besonderem Interesse ist dasGedenkbuch" des Juristen Heinrich Philipp Ferdinand von Sybel, welcher der Vater Heinrich's von Sybel,des Historikers, ist und 1846 als fünfundsechzigjähriger Mann dieses Gedenk­buch versaßt hat, das eine Reihe interessanter Schilderungen, namentlich aus der Franzosen­zeit, enthält. Heinrich PH. Ferd. von Sybel, der

1870 als Geh. Regierungsrath außer Dienst in Bonn starb, hat auch der Familie das Ritter­gut Isenburg bei Mühlheim am Rhein erworben, über das unser Buch ebenfalls eingehendere Nachrichten enthält Am Schluß folgt noch eine Reihe von Stammtafeln, welche den Be­stand der Familie bis 1890 verfolgen. Wenn es ein Verdienst ist, tüchtiger Väter zu ge­denken und ihren Namen nicht untergehen zu lassen und wer möchte das in Abrede ziehen? so gebührt dem einfachen und ge­haltvollen Buche die schlichte und ehrliche An­erkennung, daß es das Gedächtniß wackerer deutscher Männer, wie sich's gebührte, erneuert hat. Was für ein im besten Sinne des Worts konservatives Moment in der Pflege der Familiengeschichte liegt, das brauchen wir nicht erst weiter auszuführen.

7r. Graf Julius Szapüry an der Spitze

Ungarns. Ein Lebens- und Charakterbild.

Leipzig, Duncker L Humblot. 1891.

Als im März 1890 Koloman von Tisza das Präsidium des ungarischen Kabinets nach fünf­zehnjähriger Amtsdauer niederlegte, um als Gemeiner" in die Reihen der Partei zurückzu­treten, an deren Spitze er die stolzesten parla­mentarischen Schlachten gekämpft, erregte es in den Kreisen, welche dem Parteileben Ungarns ferner stehen, einige Ueberraschung, daß der er­folggekrönte greise Staatsmann den Speer, der seinem Arme zu schwer geworden, in die Hände des Grafen Julius Szapäry legte. Gerade in diesem haben die Wenigsten denkommenden Mann" vermuthet. Nicht als ob er ein dom» N 0 VU 8 gewesen wäre. Im Gegentheil. Graf Julius Szapüry, einem alten autochthonen Adels­geschlecht entstammend, gehört zu den erquick­lichsten Erscheinungen der magyarischen Gentry. Obwohl mit Glücksgütern reich gesegnet, widmete sich Graf Szapary in der neuen constitutionellen Aera frühzeitig dem Staatsdienste, und seit 1868 begegnet man ihm nicht bloß in der Arena des Reichstages, sondern gar häufig auf deu trotz ihrer Polsterung meist sehr unbequemen Sitzen der Regierungsvertreter. Nur, daß er dieselben oft und ohne viel Federlesens wechselt, vermag einige Bedenken zu erregen. Wer heute das Porte­feuille des Innern mit dem der Communicationen, morgen dieses Ministerium mit der Schatzkanz­lerschaft vertauscht, um übermorgen Ackerbau­minister zu sein, geräth in den Verdacht eines Universalgenies oder eines Strebers. In Wahr­heit ist Graf SzapLry das Eine so wenig, wie das Andere, ja er ist am allerwenigsten einer jener Parlamentarier, die ein Kabinet noch lieber in seiner Mitte sieht, als sich gegenüber. Eine angeborene Tüchtigkeit, gepaart mit sittlichem Ernst und mit Ausdauer, dazu die werthvolle Begabung, sich von fachkundigen Männern be­lehren zu lassen und glückliches Auffassungsver­mögen, das sind, wenn der Glanz eines ruhm­vollen Namens, unabhängige Stellung, Integri­tät und Hofgunst noch dazu kommen, Eigen­schaften genug, um es begreiflich zu machen, daß kein Ministerium seiner Mitgliedschaft ent- rathen wollte, und daß der scharfsichtige und fein­fühlige Tisza dem öden Parteikampfe Einhalt