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Deutsche Rundschau.
zu thun hoffte, wenn er diesen ruhigen, leidenschaftslosen Mann zu seinem Nachfolger erkor. Für die eigentliche Arbeitsleistung gab er ihm Barosz, Wekerle, Szilagyi zur Seite, lauter- jüngere Kräfte, deren Magyarenthum dem der enragirtesten Achtundvierziger nichts nachgibt. — Wenn wir in der Erwartung, Solches und Aehnliches in der vorliegenden Schrift zu erhalten, einigermaßen enttäuscht worden sind, da sie mehr ein Panegyricus ist, als eine Geschichte: so wird doch der deutsche Leser, dem sonst seltener Gelegenheit wird, sich über die politischen Vorgänge in Ungarn zu unterrichten, sachlich manche Belehrung darin finden. Angenehm berühren wird ihn auch die freundliche Gesinnung, welche der Verfasser für die deutsche Nation und das deutsche Reich an den Tag legt.
-P. Gesammelte Werke von Ludwig Anzengruber in zehn Bänden. Stuttgart, Verlag der I. G. Cotta'schen Buchhandlung, Nachfolger. 1890.
Zum erstenmal erscheinen hier die Werke des großen Volksdichters, der allzu früh „heim- g'sunden" hat, in einer vollständigen Ausgabe, die seiner und der Verleger würdig ist. Wir wünschen derselben die weiteste Verbreitung; Anzengruber's Dichtung sollte nicht nur von der Schaubühne herab wirken, sondern er sollte in seiner ganzen literarischen Persönlichkeit erkannt und hochgehalten werden. Der Poet, der sich den reichlich verdienten Lorbeer in seiner engeren Heimath erst so spät errungen hat, ist der Fels, an dem die Fluth der modernsten literarischen Richtung machtlos brechen wird; denn was die „Jungen" und „Jüngsten" mit aufdringlichem Lärm als Programm der Zukunft preisen, Anzengruber hat es still und bescheiden vollbracht: ihm war keine Wahrheit zu düster, kein Elend zu herb, er legte die Hand in die Wunde, nicht um in widerwärtiger Gier darin zu wühlen, sondern um ihr Heilung zu bringen. Wenn er schmerzbewegt aus der Hütte des Bauern trat, so blickte er auf zu den einsamen Gipfeln, welche von der goldigen Gluth der Sonne leuchteten. Nicht abwärts, aufwärts führte sein Weg, nicht zur Verzweiflung, sondern zur Läuterung. Sein unerbittlicher Realismus ist gepaart mit jener idealen Weltfreude, die an Shakespeare's dichterische Lebensführung mahnt. Wäre Anzengruber nicht durch romantischen und clericalen Dumpssinn in seiner praktisch-technischen Reife gehemmt worden, so könnten wir ihn heute zu unseren Klassikern stellen. Als Dramatiker ist Anzengruber der Nation längst vertraut. Die neue Ausgabe lehrt ihn uns nun auch als Epiker schätzen: sie enthält unter den Dorfromanen und Kalendergeschichten manch kostbares Stück. Die Werke sind folgendermaßen in den zehn Bänden geordnet: die Dorfromane „Der Sternsteinhof", und „Der Schandfleck", „Dorfgänge" in zwei Bänden, „Kalendergeschichten, Gedichte und Aphorismen", Bauernstücke („Der Pfarrer von Kirchfeld", „Der Meineidbauer", „Die Kreuzel- schreiber", „Der G'wissenswurm", „Doppelselbstmord", „Der ledige Hof", „'s Jungferngift", „Stahl und Stein", „Die Trutzige",
„Der Fleck auf der Ehr", „Die umgekehrte Freit'"), Dramen („Elfriede", „Hand und Herz", „Bertha von Frankreich") und endlich die Wiener Volksstücke („Alte Wiener", „Das vierte Gebot", „Heimg'funden"). Die zehn Bände gehören fortan zu dem literarischen Besitzthum des deutschen Volkes.
V- Johann Nestroy's gesammelte Werke«
Herausgegeben von V. Chiavacci und L.
Ganghoser. Stuttgart, A. Bonz u- Comp.
Das erste Heft der trefflich ausgestatteten Sammlung enthält das einst so beliebte, aber bisher noch ungedruckte Volksstück „Zu ebener Erde und im ersten Stock". Es werden ihm mehr denn sechszig Dramen des „Wiener Aristophanes" folgen, dessen kaustischer, derber, an Johann Fischart erinnernder Witz den Triumphen des größeren Raimund ein Ende bereitet hatte- Aus Nestroy wird derjenige Dramatiker fußen müssen, welcher uns Deutschen das schmerzlich entbehrte satirische Lustspiel erwecken soll. Die Herausgeber griffen nicht in allen Fällen aus die in ihrem Besitze befindlichen Originalmanuscripte zurück, sondern zogen es vor, diejenigen Umarbeitungen und Einschaltungen aufzunehmen, welche aus der Bühnenpraxis entstanden sind. Man wird sie darum nicht tadeln; denn Nestroy, der selbst, und mit Recht, für den berühmtesten Darsteller der Hauptrollen seiner Stücke galt, vermochte seinen Dichtungen jene lebensvolle Wandlungsfähigkeit zu erhalten, an der es Buchdramen stets gebricht. Sobald uns die Ausgabe, welche mit einer Biographie schließen soll, vollendet vorliegen wird, kommen wir auf dieselbe zurück.
</>. Verse von Theodor Suse. Berlin, Asher L Co. 1891.
Zur Empfehlung dieser „Verse" können wir sagen, daß sie von einer außerordentlichen Formengewandtheit zeugen. Das einfache Lied, das Sonett, Terzinen, das Metrum der Ode handhabt der Dichter mit seltenem Geschick, und sogar französische Gedichte gelingen ihm. Aber es ist mehr Eleganz und Parfüm in diesen „Versen", als eigentlicher Ideengehalt, und irgend ein individuelles Gepräge darin zu entdecken wäre ebenso schwer, wie des Dichters bevorzugte Muster und Meister zu nennen. Sie reichen bis zu Pindar hinauf, umfassen Eichendorff und Storm, Lermontow und Carducci und geben einen Beweis für Suse's guten Geschmack und feine Bildung. Am besten ist er, wo Heine'sche Töne angeschlagen werden:
Weil schon Andre vor mir Gottgeküßten Munds Liebesopfer und Dank Dir geweiht, soll ich Schweigen, o wogendes Meer? Immerhin ist es erfreulich, einem Jüngeren zu begegnen, der, statt an den Ausschreitungen des Tages theilzunehmen, sich den strengen Maßen und guten Traditionen unserer Dichtung anschließt.
c-A. Psyche. Eine Erzählung von Adolf Sch mitthenn er. Zweite Auslage. Bielefeld und Leipzig, Velhagen L Klasing. 1891.