Heft 
(1891) 67
Seite
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Unwiederbringlich.

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mehr als eine bloße Zerstreuung für Holk, und er hätte sich durch diesen Ver­kehr nicht bloß seiner Einsamkeit entrissen, sondern auch geradezu gehoben und erquickt fühlen können, wenn er sich einigermaßen frei gefühlt hätte. Dies war aber genau das, was ihm fehlte; denn gerade der Fleck Erde, daran er mit ganzer Seele hing, aus dem er geboren und durch Jahrzehnte hin glücklich gewesen war, gerade der Fleck Erde war ihm verschlossen und blieb es auch muthmaßlich, wenn es ihm nicht glückte, seinen Frieden mit der Gesellschaft zu machen, einen Frieden, der wiederum eine Versöhnung mit Christine zur Voraussetzung hatte. Daran war aber nach Allem, was er ans der Heimath hörte, nicht Wohl zu denken: denn so sehr die Gräfin daraus hielt, daß Seitens der Kinder an schuldiger Rücksicht nichts versäumt und beispielsweise jeder Brief des Vaters (er schrieb oft, weil ihn ein Gefühl der Verlassenheit dazu drängte) respectvoll erwidert wurde, so vergeblich waren doch andererseits alle bisher unternommenen Schritte zur Herbeiführung eines Ausgleichs gewesen. Mit der ihr eigenen Offenheit hatte sich Christine, dem Bruder gegenüber, über diese Frage verbreitet und zwar dies­mal unter Beiseitelassung alles moralischen Hochmuths.Ihr Alle," so schrieb sie,habt Euch daran gewöhnt, mich als abstract und doctrinär anzusehen, und ich mag davon in zurückliegenden Jahren mehr gehabt haben als recht war, jedenfalls mehr als die Männer lieben. Aber das darf ich Dir versichern, in erster Reihe bin ich doch immer eine Frau. Und weil ich das bin, verbleibt mir in all dem Zurückliegenden ein Etwas, das mich in meiner Eitelkeit oder meinem Selbstgefühl bedrückt. Ich mag es für nichts Besseres ausgeben. Holk, um es rund herauszusagen, ist nicht recht geheilt. Wenn er das Fräulein drüben ge- heirathet und über kurz oder lang eingesehen hätte, daß er sich geirrt, so fände ich mich vielleicht zurecht. Aber so verlief es nicht. Sie hat ihn einfach nicht gewollt, und so besteht denn für mich, um das Mindeste zu sagen, die schmerzliche Möglichkeit fort, daß das Stück, wenn sie ihn gewollt, einen ganz anderen Verlaus genommen hätte. Die Reihe wäre dann muthmaßlich nie wieder an mich gekommen. Ich spielte in dieser Tragikomödie ein bischen die kauts äs mieux-Rolle, und das ist nicht angenehm." Von diesem Briefe Christinens hatte Holk die Hauptsache wieder erfahren, und was sich darin anssprach, das stand beständig vor seiner Seele, trotzdem der alte Petersen und Arne gemeinschaftlich bemüht waren, seine Hoffnung auf einen guten Ausgang wieder zu beleben.Du darfst Dich diesem Gefühle von Hoffnungslosigkeit nicht hingeben," schrieb Petersen an Holk.Ich kenne Christine besser als ihr Alle, selbst besser als ihr Bruder, und ich muß Dir sagen, daß sie, neben ihrer christlichen Liebe die ja Verzeihung für den Schuldigen lehrt, auch noch eine rechte und echte Frauenliebe hegt, so sehr, daß sie Dir gegenüber in einer gewissen liebenswürdigen Schwäche befangen ist. Ich sehe das aus den Briefen, die von Zeit zu Zeit aus Gnadensrei bei mir eintreffen. Es liegt Alles günstiger für Dich, als Dws glaubst und als Du's Verdienst, und es würde mir meine letzte Stunde verderben, wenn's anders wäre. Mit Achtzig weiß man übrigens wie's kommt, und dafür verbürge ich mich, Helmuth, daß ich Eure Hände noch einmal wieder in einander lege, wie ich's vordem gethan, und das soll meine letzte heilige Handlung sein, und dann will ich aus meinem Amt treten und abwarten, bis Gott mich ruft."

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