Niels W. Gäbe.
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Wenigstens getraue mich nicht, es zu thun. Wir wissen Wohl, welch' unbegrenztes Ansehen und allumfassende Verehrung er dort genossen hat. Aber um den Tastsinn zu besitzen für die Innigkeit seines Zusammenhanges mit dem Geiste der Stammesgenossen, insbesondere des dänischen Volkes mit seinem hochgesteigerten Nationalgefühl, dazu müßte man Wohl selbst ein Däne sein. Die kurzen Betrachtungen, welche ich hier anstellen möchte, geschehen von einem anderen Standpunkte der Beobachtung aus. Gade hat wichtige Jahre seines Lebens in Deutschland verbracht. Zu den größten deutschen Tonmeistern der Zeit stand er in engen äußern und inneren Beziehungen. Von Leipzig ans drang sein Ruhm zuerst in die weite Welt. Hier schuf er eine Anzahl hervorragender Compositionen. An der Spitze des Gewandhausconcert-Vereins nahm er als Mendelssohn's Nebenmann und Nachfolger seine erste Dirigentenstelle ein. Seine Vocalwerke sind zum Theil über deutsche Dichtungen gesetzt; er ließ zeitlebens seine Compositionen am liebsten durch deutsche Verleger der Welt vermitteln. Wir haben Wohl das Recht, ihn zu einem Guttheil als den Uusrigen zu betrachten, und das deutsche Volk hat sich immer so zu ihm gestellt. Gounod, Bizet, Verdi — so viel ihre Werke bei uns aufgeführt werden, sie sind unserem Empfinden doch immer die Ausländer geblieben. Mit Gade wohnten Wir unter einem Dache, wie ein Bruder ist er aus- und eingegangen, und wenn den Dänen gewisse Weisen seiner Musik noch eigenartiger innerlich widerklingen werden, in der Herzlichkeit des gesammten Verständnisses glauben wir ihnen nicht nachzustehen.
Es ist nicht das Gemeingesühl germanischen llrstammes allein, was dies zuwege gebracht hat. Eine Frucht langen gemeinsamen geistigen Strebens ist in Gade's Kunst hervorgewachsen. Jahrhunderte hindurch haben Dänen und Deutsche in allen Künsten und Wissenschaften lebendigen Austausch gepflogen. Im vorigen Jahrhundert scheint es manchmal, als wären ans diesem Gebiete beide nur eine einzige Nation. Auch in neuerer Zeit hat eine engere Verbindung noch bestanden, bis das Jahr 1848 sie zerriß. Gade liebte sein Vaterland mit Leidenschaft, und die politischen Ereignisse von damals, vollends der Krieg von 1864 sind aus seine Haltung Deutschland gegenüber nicht ohne Einfluß geblieben. Er mied Jahre hindurch unser Land, und daß er im August 1871 zum Beethoven-Feste in Bonn erschien, wurde als etwas Außerordentliches bezeichnet. Die politische Verstimmung milderte sich allgemach; Pfingsten 1881 war er zum Niederrheinischen Musikfeste in Düsseldorf anwesend; er gedachte auch im Mai des lausenden Jahres zur Centenar- seier der Singakademie nach Berlin zu kommen. Seinen musikalischen Freunden in Deutschland ist er aber unerschüttert treu geblieben, wie es auch nicht anders sein konnte. Fiel doch seine Jugend und früheste Blüthe in die Zeit, da die Verbitterung zwischen Deutschen und Dänen noch nicht um sich gegriffen hatte und für die letzteren am allerwenigsten Grund zu einer solchen vorhanden war.
Eine Geschichte der Musik in Skandinavien ist noch nicht geschrieben, und wenn die Aufgabe einmal in Angriff genommen werden sollte, würde es nicht leicht zu entscheiden sein, ob es besser von dort oder von Deutschland aus geschähe. Soviel scheint sicher, daß es zweihundert Jahre hindurch vorzugsweise deutsche Musiker waren, welche in Dänemark das Feld bestellten, und daß man