Heft 
(1891) 67
Seite
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Niels W. Gade.

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aber die Dänen sich bisher größtenteils von deutscher Musik genährt hatten, nach einer Richtung hin gewannen sie uns schon jetzt einen unschätzbaren Vorsprung ab. In Dichtung und Musik gingen ihre besten Kräfte Hand in Hand. Bei uns herrschte zwischen Beiden ein Zwiespalt, der auch in der Folgezeit niemals ganz geschlichtet ist, so große Opfer auf beiden Seiten gebracht wurden. Mit welchen Operntexten mußten sich unsere edelsten Geister behelfen; wie hoch erkennen wir es schon an, wenn ihre Vorlagen nur erträglich waren! Die deutschen Dichter hielten sich entweder zu vornehm, für Musik zu schreiben, oder verstanden von dieser Kunst zu wenig. Bei uns ist die romantische Oper ohne wesentliche Mitwirkung der gleichzeitigen Poesie entstanden. Die dänischen Dichter haben jene Selbstgenügsamkeit ihrer deutschen Kunstgenossen nie gekannt; freilich hatten sie es auch leichter, ihre Musiker mit sich zu ziehen, denn deren Gepäck wog damals nicht eben schwer. Aber die Einheitlichkeit des Kunstlebens ist es nun doch, was jetzt als auszeichnendes Merkmal gegenüber Deutschland hervortritt, und in diesem harmonischen Zusammenklang nimmt die Musik den nordisch-nationalen Charakter an.

Es ist wichtig, sich zu erinnern, daß mit Kuhlau's erstem Auftreten die ersten umfassenden Sammlungen skandinavischer Volkslieder zusammenfallen. Abrahamson, Nyerup und Rahbeck gaben in Kopenhagen von 18121814 in fünf Bänden liävalo'ts ciansüa Vissr tra Niääslaläarsn heraus, denen 1821 zwei Bände vansüs Vwer, von Nyerup und Rasmussen gesammelt, folgten. Geijer's und Afzelius' berühmtes Sammelwerk Lvsnsüa bMkvisor erschien von 18141816 in drei Bänden in Stockholm. Daß Kuhlau aus diesem uner­schöpflichen Quickborn seine Kunst verjüngt hätte, kann man wahrheitsgemäß nicht behaupten; ich gestehe, daß ich von einem nordischen Zuge in seinen Melodien auch nicht die Andeutung entdecken kann. Auch nicht inLulu", seinem reichsten und reifsten Werke, das ihm C. F. Güntelberg nach dem Märchen aus Wieland's Dschinnistan dichtete, eine ins Nordische übersetzteZauberslöte". Ueberall hat Kuhlau die Intentionen der Dichtung ausgesührt, angemessen, äußerst gewandt, oft in wirklich reizvoller Art; aber sein Verhältniß zur Sache bleibt doch ein äußerliches, eine Verdolmetschung, keine Wiedergeburt. Daß der romantische Ton von Anfang bis zu Ende viel stärker durchklingt, als in der zehn Jahre älterenRäuberburg," erklärt sich leicht. Inzwischen war Spohr mitFaust" undZemire" und war Weber mit demFreischütz" und derPreciosa" auf­getreten. Kuhlau, wenn ihm auch imFreischütz" Manches nicht behagte, ging doch mit seiner Zeit. Und diese Anschmiegsamkeit machte ihn endlich auch auf dem Gebiete des Volksliedes noch zu einem verdienstlichen Vermittler und Förderer. Er schrieb 1828 zu I. L. Heiberg's SchauspielErlenhügel" Ouver­türe und Gesänge und benutzte dazu fast ausschließlich Nationalmelodien. Hier hat er sich an eine Ausgabe gemacht, für welche sein anempfindendes Talent wie geschaffen war, und sie in vollendeter Weise gelöst. Die Wirkung, welche dieses Werk, das bis heute zu den beliebtesten gehört, auf das dänische Volk ausgeübt hat. wird nicht leicht überschätzt werden können, und Kuhlau mit dem Erlenhügel" gewiß noch lange unter den Dänen sortleben.