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Deutsche Rundschau.
Weyse, Kuhlau's um zwölf Jahre älterer Freund, entbehrt der bestechenden Eigenschaften, die Jenen auszeichneten. Ich möchte indessen vermuthen, daß er tiefer und nachhaltiger gewirkt hat. Getragen von der Woge nationaler Dichtung wurde auch er; Oehlenschläger und Boye haben ihm lebendige und stimmungsvolle Opernbücher gegeben, zahlreiche Lieder der besten dänischen Dichter hat er mit Musik versehen. Im Vergleich zu Kuhlau hat er etwas Altmodiges, aber die größere Ursprünglichkeit ist bei ihm. Moscheles meinte, allein durch seine Klavierstücke Op. 8 habe sich Weyse einen Platz unter den ersten lebenden Clavier- componisten gesichert; Schumann, der noch im Jahre 1836 nur dies eine Werk von ihm kannte, bewunderte den Phantasiereichthum und die markige Gestaltung dieses „Originalgeistes, wie wir nicht viele aufzeigen können", und möchte Männer wie ihn „am liebsten jenen einsamen Leuchtthürmen vergleichen, die über das User der Welt hinausrageu." Ueber den Claviercomponisten Kuhlau ist Wohl niemals ein solches Urtheil vernommen worden. In Weyse's Gesängen begegnen uns, schärfer ausgeprägt, gewisse Züge, die schon im „Holger Danske" auffallen: eine zarte, knospenhaste Empfindung, um die aber eine ganz eigene Helle und Klarheit schwebt, wie in Oehlenschläger's VaarsanZ' (Frühlingslied): „Lncielig' rsvneä cks üstznMnäs Llrzer" und wiederum ein düsterer, altertümlicher Balladentou, wie im Gesang „Abelone's Del dlanüs Lvserck pan VsoMn üang" aus der Oper Loveckriüksn (Der Schlaftrunk), in Goethe's „Erlkönig" und in Oehlenschläger's Uebertragung des „Königs in Thule". Den Elfengesängen in seiner Oper „Floribella" liegt ein tieferes Gefühl für das Charakteristische zu Grunde, als es Kuhlau besaß. Der ernste Sinn des Mannes offenbart sich auch in seiner Pflege der Chor- und Kirchenmusik. Mit der Sammlung von zweimal fünfzig „Alten Heldenliedern" (Oamls UssmyeviLe-iKelockier), welche er mit Klavierbegleitung versah und am Ende seines Lebens herausgab, hat er seinem Volke ein edles Geschenk hinterlassen. Mir ist nicht bekannt, daß Gade mit Kuhlau in Berührung gekommen ist; es hätte dies nur in seiner frühen Jugend geschehen können, da Kuhlau schon 1832 starb. Wohl aber bestanden Beziehungen zwischen ihm und Weyse, und dies kann man nur natürlich finden, denn der alte Meister war Wohl geeignet, die Flamme nationalen Kunstgesühls in dem Jüngling zu nähren.
In der skandinavischen Welt fand die deutsche romantische Oper ein Ver- ständniß, dessen Innigkeit und Tiefe unseren eigenen kaum nachsteht, und einzelnen Werken gegenüber sich sogar dauerhafter gezeigt hat, als bei uns selbst. Der Phantastische Zug, welcher bald aus fernen Ländern und Völkern sich die Stoffe holt, bald in der geheimnißvollen Sagenwelt des germanischen Volkslebens Einkehr hält, der Drang, fremdländischer bisher übermächtiger Musik die nationale Weise entgegenzusetzen, die Schätzung des Volksliedes als des gedrängtesten Ausdrucks derselben, die Sehnsucht, das germanische Naturgefühl in einer vollgenügenden musikalischen Sprache zu ersättigen — aus all diesem hatte ja unsere romantische Oper ihre wesentlichen Merkmale gewonnen. Den stammverwandten Skandinaviern klangen bei ihren Tönen tiefinnere Saiten des Gemüthes mit, und das Gefühl für die nationale Eigenart, das wir erst wieder in uns großziehen mußten, hatten sie sich immer gewahrt gehabt. Kein Wunder, daß in Dänemark