Heft 
(1891) 67
Seite
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Deutsche Rundschau.

Welche sie auf den Schatz der in ihrem Volke verborgen ruhenden Kunstkraft hinwies; sie brauchten sie nur verständnißvoll zu handhaben, um den Schatz zu heben.

Wenn ich recht beobachtet habe, macht sich heute bei uns eine Anschauung geltend, als ob Gade ein musikalisch ausnahmsweise veranlagter Däne gewesen sei, der sich nach deutschen gleichzeitigen Mustern gebildet, und was er von diesen gelernt, seinen Landsleuten mundgerecht gemacht habe. Ich glaubte deshalb, die geschichtlichen Hauptsachen hier kurz andeuten zu dürfen, weil aus ihnen von selbst hervorgeht, daß die Lage der Dinge eine andre ist. Nicht um eine simple Danisirung deutscher Musik handelt es sich, sondern um eine von langer Hand her vorbereitete Mischung, zu welcher das dänische Volk seinen wahrlich nicht werthlosen Theil beigetragen hat. Gade's Musik erwuchs aus einem Boden, der durch zahllose Keime altadelig deutscher Kunst befruchtet, aber in einer Luft, die durch den Sonnenschein nationaler Poesie erwärmt und mit den Klängen heimathlicher Urweisen gesättigt war. Daß unter solchen Bedingungen etwas ganz Neues entstehen kann, wird Niemand leugnen, der ähnliche Vorgänge in der Kunstgeschichte zu beobachten im Stande war. Dies Neue bricht auch bei den Dänen nicht mit überraschender Plötzlichkeit hervor, es kündigt sich für den, der aufmerksam lauscht, schon lange vorher an. Merkwürdig ist, daß der Ent­wicklungslaus sich Generationen hindurch auf Paare von Künstlern stützt. Wie Schulz und Kunzen, wie Wehse und Kuhlau 'zusammengehören, so I. P. E. Hartmann und Gade.

Der verehrungswürdige Nestor der dänischen Musiker das ist der 1805 geborene Hartmann längst führt seinen Stammbaum zwar auch auf deutsche Ahnen zurück. Aber die Familie ist schon im vorigen Jahrhundert aus Schlesien eingewandert. Berggreen hat in seinenDänischen Volksliedern" dem Begründer der dänischen Linie ein kleines sinniges Denkmal gesetzt: hinterlacken Ounver" von Joh. Ewald (Nr. 17), einem Liede, das mit Schiörring's Melodie in den Volksmund übergegangen ist, findet sich die Bemerkung:harmonisirt nach Joh. Hartmann, geb. 1726, gest. 1793." Eine ähnliche Bemerkung findet sich in der Sammlung nur noch einmal: bei Norckenslfiolcks Vise (Nr. 61) liest man am Ende der BegleitungNiels W. Gade." So erscheinen die beiden durch die Kunst und durch ein Familienband verknüpften Namen auch in diesem monu­mentalen Werke dänischer Volksmusik vereinigt. Hartmann's Werke sind in Deutschland wenig bekannt, und die Frage wäre hier Wohl aufzuwerfen, ob wir nicht die Pflicht hätten, etwas schärfere Ausschau zu halten nach dem, Was jenseits des baltischen Meeres vorgeht, anstatt selbstgenügsam uns höchstens das gefallen zu lassen, was man uns von dort ins Land trägt. In Dänemark steht I. P. E. Hartmann in hohem und, wie mir scheint, wohlverdientem Ansehen; er wird in manchem Belang kaum viel geringer geschätzt als Gade. Die stärkere musikalische Naturkrast wohnt Wohl sicherlich dem Letzteren bei, aber sie ergänzen sich merkwürdig genau, indem Hartmann besonders in solchen Gattungen her­vorragt, die sein Schwiegersohn unangerührt gelassen hat oder in denen er weniger erfolgreich war: in der Oper und der Claviercomposition.