Heft 
(1891) 67
Seite
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Niels W. Gäbe.

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nicht fort. Weber schrieb volkstümlich fast ohne vorbildliche Volksmelodieen, weil er die Gabe besaß, die Form jener Weisen vorauszufühlen, die dem Volke als adäquater Ausdruck seiner Empfindungen im Liede erscheinen mußte. Der Künstler soll die Seele seines Volkes kennen, wenn er will, daß es ihn versteht. Aber ihm dies Verständniß zu erschließen, dazu ist freilich das Vorhandensein einer Volksmusik das sicherste Mittel. Die Melodieen der Skandinavier sind von besonders fremdartigem Reize, tief, schwermüthig, sehnsuchtsvoll, aber ohne die dem neueren deutschen Volksliede manchmal eigene Empfindsamkeit, auch Wohl derb-lustig, aber selbst so durch ein gewisses schweres Wesen von der leichten Fröhlichkeit südlicher Völker gründlich unterschieden. Die Moll-Melodieen sind im Uebergewicht, indessen ist die Eintheilung nach unseren zwei Tonarten nicht durch­aus zulässig, da manche in keine derselben passen würde. Das Gefühl für die Entfaltung von Harmonieen aus einem Grundklange heraus und für die daraus fließenden Gesetze auch hinsichtlich der melodischen Fortschreitungen hat sich erst in den letzten Jahrhunderten voll entwickelt, über welche die schönsten der Melo­dieen sicherlich weit zurückreichen. Daraus erklärt sich auch eine fremdartige Ver­wendung oder Umgehung der sogenannten Leitetöne, erklären sich sprungweise Ton­sortschreitungen, namentlich nach abwärts, welche den hinzuzudenkenden Harmoniken zu Widerstreiten scheinen, oder umgekehrt sprungweise Bewegungen durch die Töne eines Accordes, die durch eine harmoniefremde Tonstufe unterbrochen werden, und ein Aufbau der Melodie, den wir uns nur durch Verschiebung der harmonischen Grundsäulen erklären könnten. Während sich sonst Volksmelodieen gern in einem mäßigen Tonumfange bewegen, schwingen sich die skandinavischen oft in weitem Bogen auf und nieder, besonders macht das schnelle Aufstreben gleich am Anfänge, Welches manchen der schönsten Melodieen eigen ist, den ergreifenden Eindruck ge­waltiger Sehnsucht. Die schwedischen Lieder vom Nökken undVermelanäs xmls", die auch bei uns ziemlich bekannt geworden sind, haben solche Melodieen. Auch gewisse häufig wiederkehrende Schlußfälle, und eine Gliederung, die durch das beliebte Abwechseln zwischen Vorsänger und Chor bedingt ist, dienen zur Fest­stellung des Charakters. Vergleicht man nun mit ihnen Gade's Melodieen, so findet man leicht übereinstimmende Züge. Auch stärkere Anklänge an ganz be­stimmte Melodieen kommen vor, so treffen die Hauptmelodie der Ossiam Ouvertüre und das Lied vom Ritter Ramund (Berggreen I, 89) in ihren Anfängen fast ganz überein. Aber schwerlich ist dies dem Componisten zum Bewußtsein ge­kommen; er hatte jene Melodieenwelt ganz in sich ausgenommen, und was er selbst schuf, trug die Spuren ihres Wesens. Im Allgemeinen läßt sich Wohl beobachten, daß ihm die düstere Mächtigkeit nordischen Sanges weniger gemäß war, als jene ernste Lieblichkeit der Weisen, welche zu der Natur seiner dänischen Heimath paßt. Jenen hat er mehr nur in seinen frühen Werken angestimmt, dieser ist er sein Leben lang treu geblieben. Eine besondere Art dänischer Me­lodie, die schon in der Musik zuHolger Danske" zu treiben anfängt, in Weyse's Gesängen und manchen jedenfalls neueren Volksliedern als Knospe er­scheint, ist bei Gade aufgeblüht. Etwas Zartes, Duftiges und doch Frisches; be­thaute Rosen möchte man diese jungfräulich schlanken Melodieen nennen. Ich bezeichne die Art als dänisch, denn unter den gleichzeitigen schwedischen Melodieen,