Niels W. Gäbe.
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seine Natur ihr nur dann, wenn ihr Ausmaß kein zu weites war. Die Kürze der Sätze, durch welche diese Sinfonie auffällt, kehrt auch in der wenn schon nicht ganz gleichwertigen sechsten wieder. Sie trägt viel dazu bei, den Werken einen zierlichen und schmucken Charakter zu geben. Aber in diesem Charakter offenbart sich eben ein Grundzug des Gade'schen Wesens, der im Verlaus seines Lebens immer herrschender wird; den düsteren Nordlandston seiner Jugend hat er später nur noch einmal wieder angeschlagen, in seiner schönen achten und letzten Sinfonie, und hier den Trotz mehr zur Schwermuth hinübergestimmt. Auch der Ernst erscheint bei ihm mit der Miene milder Schönheit, wahrhaft groß und hoheitsvoll in einer Ouvertüre, die er „Michel Angeln" benannt hat; eine andere, für welche Hamlet den poetischen Hintergrund bildet, läßt sich wenigeres den grüblerischen Sinn des Dänenprinzen ein, als auf die schaurige Majestät der Erscheinung des mahnenden Geistes und die holde Gestalt der Ophelia.
Wie viel zur Erzielung einer poetischen Stimmung die Klangfarbe beiträgt, ist bekannt. Gade ist eine klangselige Natur. Er versteht schon in seinen frühesten Werken coloristische Wirkungen mit erstaunlicher Meisterschaft hervorzubringen. Wohl ist er hierfür bei unseren Romantikern in die Schule gegangen, aber eigene geniale Begabung hat ihre Anregungen fruchtbar werden lassen. Anfänglich hat seine Instrumentation manchmal etwas Dröhnendes, als hörte man das wuchtige Stapfen nordischer Kämpen. Aber bald lernt er Maß halten und eine zauberische Farbenpracht gleichmäßig über seine Gestalten ausbreiten. Sein Colorit hat etwas Gedämpftes; er ist Meister des Helldunkels und zart in einander verfließender Farbentöne. Daß sich auch hierin ein localer Charakter ausprägt, wird handgreiflich, wenn man sich einmal das Vergnügen macht, die „Ossian"- Ouverture etwa mit Rossini's Ouvertüre zu „Wilhelm Tell" zu vergleichen: hier überall grell neben einander ausgetragene Grundfarben und das durchdringendste südliche Licht über das Ganze gegossen, dort die verschleiernde Dämmerung der Mittsommernacht. Oft findet man bei Gade Stellen, an denen es zuerst laut und lebhaft hergeht, aber ehe man es vermuthet, ist Alles in ein leises Tönen zurückgesunken; die Bewegungen werden undeutlich und seltsam verzogen, Schatten scheinen sich zu spreiten, und Nebel Meer und Land zu überziehen — Stellen, die nur bei ihm und nach ihm bei der jungnordischen Schule Vorkommen. Es ist erstaunlich, wie ihm hier die Instrumente ihre innersten Geheimnisse ver- rathen zu haben scheinen. Ganz neu ist oft seine Verwendung des Hornklanges, namentlich in den tieferen Tongebieten. Am Ausgange des zweiten Satzes der vierten Sinfonie ist eine Stelle, die vermöge dieses Mittels eine Stimmung ausströmt, wie purpurne Abendwolken über der verdunkelnden See.
Nächst der Orchestercomposition ruht Gade's Stärke in der Kammermusik, und hier darf man wieder sondern zwischen Werken, welche dem Clavier bestimmt sind oder es doch zur Mitwirkung heranziehen, und solchen, die nur durch Saiteninstrumente dargestellt werden sollen. Gade's Clavierstil ist äußerst wohlklingend und nach den besten Mustern seiner Zeit gebildet; er war auch selbst ein sattelfester Spieler des Claviers und der Orgel. Ein starker innerer Zug zu diesem Instrumente lebte Wohl nicht in ihm, viel sympathischer und vertrauter war ihm die Geige, und so sind auch seine Werke für Streichinstrumente offenbar mit
Deutsche Rundschau. XVII, 9. 23