Die Berliner Theater.
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kreis ein wenig eingeschränkt; es hätte der Zeit, der Erfahrungen, selbst der Fehlschläge bedurft, um ihn in dem reicheren und bewegteren Kreise, dem er hier Vorstand, heimisch werden zu lassen. Zu seinem Unglück konnte er nun überdies seinen Liebhabereien nicht entsagen, er trat als Schauspieler aus, er richtete sein Luther-Festspiel in Potsdam ein und spielte selbst darin mit, er suchte den schwächlichen Talenten, die ihm in Oldenburg oder aus seinen Luther-Fahrten bedeutend erschienen waren, im Schauspielhause einen hervorragenden Platz zu sichern. Nothwendig verstimmten diese Dinge die Intendantur wie die Kunstgenossenschaft und erschienen dem Publicum mit Recht als ungehörig. Sein verunglückter Versuch, die erste Niederschrift des Götz, „Die Geschichte Gottsriedens von Berlichingen", in einer wunderlichen Einrichtung, welche die Bühne in zwei Guckkästen theilte, vorzusühren, brachte ihn um jeden Credit als Dramaturgen, seine Darstellung des Nathan um jeden Credit als Schauspieler. Die Neuigkeiten, die er auswählte, verfolgte ein Unstern, nach einander sielen ihm fünf Stücke durch. So ohne Wurzel in dem Publicum wie in der Schauspielergesellschaft des Hauses, wehte ihn der Wind von oben, der sich drehte, um. Weder in dem Schanspielhause noch draußen fand er Vertheidiger. Ganz ohne Verdienst für das Repertoire war indeß seine Thätigkeit nicht: er hat ihm zwei neue Shakespeare- Komödien „Der Sturm" und „Verlorene Liebesmüh" in einer Bearbeitung von Rudolph Genäe und Turgenjew's Schauspiel „Natalie" zum bleibenden Gewinn ein- gesügt. Herr Max Grube, der an seine Stelle getreten, hat dem Schauspielhause schon einige Jahre als gewandter und trefflich begabter Darsteller angehört. Seine Vielseitigkeit, seine scharfe, wenn auch zu einseitig auf das Grelle und Groteske gerichtete Charakteristik haben ihm in der Künstlerschaft und in dem Repertoire eine bedeutsame Stellung verschafft, und die gute Meinung, die das Publicum von dem Schauspieler hegt, kommt dem angehenden Dramaturgen aus halbem Wege entgegen. Mit literarischen Neigungen und Kenntnissen verbindet er die treffliche Schule, die er in Meiningen durchgemacht, den Sinn für das Malerische und die Fähigkeit, dem Stimmungsgehalt einer Dichtung den richtigen theatralischen Ausdruck zu geben, so daß man seiner Leitung der Hofbühne mit einigem Vertrauen entgegensieht. Die vielen Erschütterungen und Umwälzungen, die sie seit dem Tode des Herrn von Hülsen erfahren hat, machen die Ruhe und Stetigkeit einer besonnenen Leitung für sie zur Lebensfrage; das Schauspielhaus kann seinen Rang als erstes Theater Deutschlands nur behaupten, wenn es aufhört, eine Stätte des Dilettantismus und der Experimentirsucht zu sein, und wieder einer strengen Kunstregel und Ordnung folgt. Die einzige Besorgniß, und freilich ist es eine schwere, die der Oberregisseur Grube der Kritik einflößt, ist der Schauspieler Grube; seine Vielspielerei muß allmälig seinen Ueberblick über das Ganze und die Sicherheit seiner Haltung beeinträchtigen. Davon ganz zu schweigen, daß der Tadel, der den Schauspieler trifft, in der Coulissenwelt auch die Autorität des Directors beschädigt. Der Leiter der Hosbühne befindet sich eben nicht in derselben Lage wie ein beliebter Schauspieler, der zugleich der Director eines Privattheaters ist. Herrn Barnay z. B. wünschen die Besucher des Berliner Theaters auf seinen Brettern als Kean, Antonius oder Wallenstein zu sehen; die Gunst, die sie dem Theater znwenden, gilt in erster Linie dem Künstler. Solche Rücksicht aus das Publicum und die Kasse gibt es für Herrn Grube nicht; ungern würden wir ihn in gewissen Rollen vermissen; aber die Gewißheit, daß er sich um so eifriger und freier von jedem Gefühl der persönlichen Eitelkeit, die nun einmal mit dem Schauspielerthum unausrottbar verbunden ist, der Leitung und Ordnung, den Interessen des Ganzen widmen könnte, würde uns und müßte ihm den Verzicht leichter machen.
Das entscheidende Ereigniß dieser Monate war für das Schauspielhaus die erste Aufführung des Schauspiels in sieben Vorgängen von Ernst von Wildenbruch, „Der neue Herr", die auf Befehl des Kaisers am Montag, den 9. Februar, stattsand. Gerade wie „Die Quitzows" im Herbste 1888, hat das neue Schauspiel die Hofbühne aus einem Zustande der Verödung und der Theilnahmlosigkeit gerissen, den Schauspielern Feuer und Beweglichkeit, den Zuschauern Interesse eingeflößt.
Deutschs Rundschau. XVII, 9. 29