452 Deutsche Rundschau.
Localkurist und der preußische Patriotismus, in denen es lebt und webt, sichern ihm indessen den Beifall des Theaterpublicums.
Den hundertjährigen Geburtstag Franz Grillparzer's stierte das Schauspielhaus am Donnerstag, den 15. Januar, mit der ersten Aussührung der beiden Dramen „Der Gastfreund" und „Die Argonauten", der ersten Hälfte der Trilogie „Das goldene Vließ". Auf unserer Bühne erschien das letzte Stück der Dichtung, „Medea," zuweilen, die ersten waren dem Repertoire bisher nicht einverleibt. Zur dauernden Bereicherung werden sie ihm freilich nicht dienen; das zauberisch und phantastisch Unheimliche der Fabel setzt uns mehr in Verwunderung, als daß es uns innerlich anzöge und fesselte. Am ergreifendsten und menschlich wahrsten berührt uns noch „Der Gastfreund", denn hier bleibt das Wesentliche der Handlung im Wahrscheinlichen, außerhalb des magischen Kreises. An unwirklicher Küste landet der Grieche Phryxus, in einem düstern Lande, unter wolkenverhangenem Himmel; scheu nehmen ihn die Barbaren auf. Seine Schätze verlocken ihre Habsucht, seine Waffen erregen ihre Furcht. Die wilde, und fremdartige Schönheit der Königstochter Medea bethört den Führer, ihre Schlaftrünke benebeln seine Genossen. Sie fallen unter den Streichen der Barbaren, Phryxus, nachdem er die Rache der Götter auf den König und seine Tochter, die das Gastrecht gebrochen, herabgefleht hat, unter dem Schwert des Nietes. Hier ist Alles klar, verständlich und in dem eigenartigen, alterthümlich anklingenden Rhythmus des Vortrags von großer Wirkung. In dem zweiten Stück ist es vor Allem der Gegensatz zwischen der dunklen Zauberin Medea, in die sieb das pfeilfrohe und muthige Mädchen der ersten Abtheilung durch die Blutschuld und den Fluch des Phryxus gewandelt hat, und der lichten Heldenhaftigkeit des Jason, der Widerstreit zwischen der Liebe zu dem Jüngling und dem Haß gegen den Fremdling, der nach Kolchis gekommen ist, das goldene Vließ zu rauben, aus dem sich die Handlung und die Katastrophe entwickelt. Aber die Ueberladung des Stoffes mit den märchenhaften Elementen der Sage hindert die reine Wirkung. Immerhin hat eine Reihe von Vorstellungen den Eifer der Leitung und der Künstler belohnt und dem „Goldenen Vließ" neben den beiden andern Dramen Grillparzer's „Der Traum ein Leben" und „Des Meeres und der Liebe Wellen" einen festen Platz auf unserer Hofbühne gewonnen. So dankenswerth dieses Unternehmen war, um so verfehlter und im Widerspruch mit allen Verpflichtungen und Traditionen des Schauspielhauses erschien der Versuch, dem modernen Naturalismus hier eine Stätte zu bereiten. Noch dazu mit dem schwächlichen Werke eines Anfängers: „Unsichtbare Ketten" von Wilhelm Meyer, einem bürgerlichen Schauspiel in vier Acten, das am Sonnabend, den 14. März, zur ersten Aufführung gelangte. Ein junger Arzt in einer kleinen Provinzialstadt ist unschuldig verurtheilt worden: er soll einen Offizier aus Eifersucht getödtet haben. Erst nach mehrjähriger Haft wird seine Unschuld anerkannt und er aus dem Zuchthause entlassen. Statt nun in der Fremde sein Glück zu suchen, steift er sich darauf, in seiner Heimath zu bleiben, und versinkt unter dem Mißtrauen und der Abneigung der Spießbürger gegen ihn immer mehr in Verkommenheit und Verwilderung. Er hat seine frühere Braut, die sich während seiner Gefangenschaft seinem älteren Bruder zugewandt, geheirathet — denn weder das Mädchen noch der Bruder haben nach seiner Befreiung den Muth gehabt, ihm ihr Verhältniß einzugestehen — und kränkt sie nun durch ein rohes Betragen und die Ausbrüche einer ebenso wilden wie grundlosen Eifersucht. Nach dem Original tödtete er sie in einem dieser Anfälle und bewies dadurch nur, wie Recht seine Richter gehabt, den Jähzornigen eines Todtschlags für fähig zu halten; auf der Bühne hatte man aus dem leidvollen einen fröhlichen Schluß gemacht und die Rohheit in die Sentimentalität verwandelt. Schießfi ruft die entrüstete Luise ihrem Manne zu, als er den Revolver gegen sie erhebt. Diese Entschlossenheit erschreckt den Gatten so sehr, daß er die Waffe fallen läßt und nach einer leidenschaftlichen Unterredung ihr gerührt zu Füßen und ans Herz sinkt. In der Charakteristik und dem Ausdruck des erregten Gefühls gibt es einige Lichtblicke, aber die graue Färbung des Ganzen, die öde Tendenz- und Be-