Heft 
(1891) 67
Seite
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Deutsche Rundschau.

der Landstraße, nahm sich ihrer an und brachte sie zu einer alten Verwandten in der Hauptstadt. Der Krieg ließ ihn nicht lange in Paris verweilen, zwei Jahre blieb er fern an der Grenze, in Belgien, in österreichischer Gefangenschaft. Erst vor wenigen Tagen ist er nach Paris zurückgekommen, um dem Convent die in der Schlacht bei Fleurus eroberten Fahnen zu überreichen. Vergebens hat er nach Fabienne gesucht, geforscht, seine alte Verwandte ist gestorben, das Mädchen verschollen. Da trifft er sie in der Morgenfrühe des neunten Thermidor am Ufer der Seine auf einem der Waschkähne. Die Arme sucht, ohne ihn zu erkennen, Schutz bei ihm vor den andern Wäscherinnen, die sie für eine Aristokratin halten, weil sie ein goldenes Kreuz um den Hals trägt. Die Megären wollen sich nicht beruhigen lassen, was auch der Officier und sein Freund Labufsisre, ein ehemaliger Schauspieler, den er am Ufer als Angler getroffen hat, zu Gunsten Fabienne's sagen, und rufen einen Polizisten herbei, sie zu verhaften. In dieser äußersten Noth schafft ihnen eine Karte, die Labufsisre dem Be­amten zeigt, Raum zu entweichen: Alle sehen ihm erschrocken nach, er ist einer der Secretäre des Wohlfahrtsausschusses. Labufsisre bringt den Freund Martial Hugon und Fabienne in Sicherheit zu einer guten Frau, bei der er früher gewohnt hat. Er will, daß der Officier, um das Mädchen vor weiteren Nachstellungen zu retten, noch heute mit ihr Paris verlasse, ein Paß für ihn und seine Frau wird ohne Mühe zu beschaffen sein. Aber ein Hinderniß erhebt sich: Fabienne hat die Gelübde abgelegt. Nach dem Tode ihrer Beschützerin, bei der Kunde von Hugorüs Tode, die das Gerücht verbreitet, ist sie zu ihren alten Freundinnen, den Nonnen, die in einem stillen Winkel der Stadt leben, geflüchtet und in den Orden getreten. Eine Weile gelingt es Martialls Liebesbetheuerungen, ihr Gewissen zum Schweigen, ihr Gelöbniß in Ver­gessenheit zu bringen; als er sie aber verlassen hat, die Nachricht kommt, daß man die Nonnen verhaftet habe, als der Zug vor dem Haufe vorübergeht und in die wilde Carmagnole der Menge der Gesang der Nonnen wie aus Himmelshöhen hineinklingt, da ist in Fabienne kein Halten mehr. Sie will das Schicksal ihrer Schwestern theilen, und schnell erfüllt es sich. Ein Brief, den sie ihnen geschrieben, ist bei den Nonnen gefunden worden, die Häscher kommen, sie gefangen zu nehmen. Sie ist längst ver­dächtig, einer ihrer Brüder ist in der Vendäe erschossen worden, einer der Convents- deputirten, den sie als einen früheren Bekannten aufgesucht und dessen Zudringlichkeit sie zurückgewiesen hat, beschuldigt sie, einen Mordanfall aus ihn beabsichtigt zu haben. Jetzt wird sie nach der Conciergerie abgesührt, um noch an demselben Tage vor Ge­richt gestellt, verurtheilt und guillotinirt zu werden. Um uns in Sardows Zeitein­teilung zu finden, müssen wir uns denken, daß der erste Vorgang am Seineufer etwa um sechs Uhr Morgens, der zweite in dem Zimmer der Frau Barillon um neun Uhr Vor­mittags sich abspielt. Um Mittag stürzt Hugon außer sich in das Bureau Labussisre's: Fabienne ist verloren, wenn er sie nicht rettet, er soll ihre Acten verschwinden lassen. Denn Labufsisre hat ihm selbst erzählt, daß er dadurch viele Gefangene vor dem Tode bewahrt habe, ohne die Personalacten ist eben der Proceß vor dem Revolutionstribunale nicht zu führen gewesen; bisher hat man dem Schreiber, der bei den übrigen Beamten halb für einen Trottel, halb für einen Spaßmacher gilt, die Unordnung, dafür hält man das Verschwinden der Acten, während sie Labufsisre, in kleine Stücke zerrissen, in der Morgendämmerung in die Seine wirst durchgehen lassen. Von der Ver­zweiflung des Freundes gerührt, will Labufsisre die Acten einer andern Verhafteten, die denselben Namen Lecoulteux, wie Fabienne, führt, unterschieben, als sich die Kunde von dem Sturz Robespierrcks wie ein Lauffeuer durch die Gänge und Bureaux der Tuilerien verbreitet. Alle schreien, jubeln, umarmen sich und drängen zu dem Fenster, um den gestürzten Dictator als Gefangenen vorbeiführen zu sehen; der Fall Robes- pierre^s muß die Pforten aller Gefängnisse sprengen. Aber sie haben die Rechnung ohne Fouquier-Tinville gemacht, der hat wie an jedem Tage sein Gericht gehalten, Fabienne ist zum Tode verurtheilt worden. Es ist fünf Uhr Nachmittags, die Karren halten vor der Conciergerie. Das Gesetz soll seinen Lauf haben, gleichviel, ob die bisherige Regierung gestürzt worden ist. Nur ein Mittel gäbe es noch für Fabienne,