Heft 
(1891) 67
Seite
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Deutsche Rundschau.

erschießen. Das hat Ejlert Lövborg vielleicht gethan, bei einem übelberüchtigten Mädchen, wenigstens ist er dort todt gesunden worden, die Waffe hat die Polizei an sich genommen. Um der Vernehmung vor Gericht zu entgehen, tödtet sich Hedda. Verstehe ich Ibsen recht, so ist sie seelisch schon vor ihrem Selbstmorde an Eifersucht auf eine andere Frau, Thea Elvsted, gestorben; Thea hat den verkommenen, dem Trünke ergebenen Lövborg durch ihre Liebe sittlich erhoben und zu einem merkwürdigen, tiefsinnigen Werke begeistert; das Manuscript geräth durch Zufall in Hedda's Hand, und sie verbrennt es mit den Worten:Jetzt verbrenne ich dein Kind, Thea, dein und Ejlert Lövborg's Kind". Die Strafe für diese Nichtswürdigkeit mag dann in ihrem Tode zu suchen fein. Bei einem Dichter, der es liebt, seinem Publicum Räthfel aufzugeben, halb aus Lust am Schabernack, halb aus eigener Unklarheit, ist man freilich niemals sicher, feine Gedanken zu treffen. Für die Theaterbesucher in Kopen­hagen und Chriftiania mag die Satire, sowohl in der Verschrobenheit Hedda's, wie in der Liederlichkeit Lövborg's, im Hinblick auf die Auswüchse der literarischen Be­wegung im Norden, durchsichtig genug fein, um trotz der unsauberen Handlung ihr heiteres Gelächter zu erregen; für Deutsche bleibt nur der Bodensatz erkenntlich, der Sieg der Normalphilister, der leibliche und sittliche Untergang der Geniesüchtigen, und mit Vergnügen, wie der Arzt in Dumas' KomödieDie Fremde" sagt, bestätigen wir den Tod der beiden Vibrionen, Hedda's und Ejlert's.

Die übrigen Neuigkeiten des Lessing-Theaters:Ohne Ideale", Schauspiel in vier Acten von Richard Jasss, am Mittwoch, den 14. Januar, aus- gesührtFortuna", Schauspiel in drei Acten von Hermann Faber, aufgesührt am Donnerstag, den 19. Februar, eine französische PosseUaris kin äs sisels", die am Sylvesterabend 1890 unter dem schiefen TitelAus der Höhe des Jahrhunderts" in Scene ging, von Ernst Blum und Raoul Tochä, verdienen keine kritische Würdigung. Eine schlimme Enttäuschung bereitete Richard Jaffä's Schauspiel den Zuschauern. Er hatte in seinem DramaDas Bild des Signorelli" in dem alten Prosessor der Kunstgeschichte, der, um seinen Sohn zu retten, zum Fälscher der Wahrheit wird, wenigstens eine originelle Figur hingestellt und in dem Ausbau der Scenen ein gewisses theatralisches Geschick bewiesen; sein neues Stück dagegen ist eine Ansängerarbeit, in der sich die abenteuerlichste Romantik von Seegespenstern und von dem Willen, der in die Ferne wirkt mit den gröbsten realistischen Effecten verbindet. Ein Drama von TurgenjewDas Gnaden­brot»", das in einer Bearbeitung von Eugen Zabel am 19. Februar zur Auf­führung kam, ist einer jener wunderlichen Versuche des Dichters mehr, sein Talent, das einzig in der Freiheit der Erzählung lebte, in die Knechtschaft der Bühne zu zwingen. Dem Inhalte nach ist das Werk eine Skizzeaus dem Tagebuche eines Jägers", eine breite Schilderung des Zuständlichen, im Vordergrund die Gestalt eines Verarmten Edelmannes, der aus einem reichen Gutshose seit zwanzig Jahren das Gnadenbrot» ißt. Mit einiger Unruhe sieht Kusoskin der Heimkehr der jungen Herrin entgegen; Olga Petrowna's Eltern, die seine Wohlthäter gewesen, sind gestorben, sie kommt mit ihrem Manne, einem höheren Beamten, aus St. Petersburg, um einige Zeit aus dem Gutshofe zu verleben. Kusoskin ist in der Einsamkeit verbauert und versimpelt, aber Olga behandelt ihn freundlich wie einen guten alten Bekannten, ihr Mann mit zugeknöpfter Höflichkeit. Da fällt es einem Allerweltsschwätzer, einem Gutsnachbar, der sich zum Besuch bei den neu Angekommenen eingestellt hat, ein, gegen den Willen des Hausherrn, aus langer Weile, Kusoskin betrunken zu machen; er hat ihn vor Jahren eben als eine Art Hausnarren und Schmarotzer bei dem Vater Olga's kennen gelernt. In seiner Trunkenheit erzählt Kusoskin eine Geschichte von einem Proceß wegen einer reichen Erbschaft, den er führt, lacht und singt, bis er sich seiner unwürdigen Lage bewußt wird, sich erhebt und Olga seine Tochter nennt. Sie ist es in der That; Olga's Mutter hat in beständigem Unfrieden mit ihrem rohen Gatten gelebt und bei dem Hausfreunde Schutz und Liebe gesucht. Olga wird von dieser Enthüllung mehr gerührt als gekränkt, und ein wohlthätiger Schlagfluß bei dem