458
Deutsche Rundschau.
höheren Kunstwerth, so ist es doch als Beweis willkommen, daß der Realismus der jüngeren Schule sich recht wohl mit dem Humor der alten vertragen kann.
Von den drei anderen Neuigkeiten, die das Deutsche Theater gebracht hat: am Donnerstag, den 29. Januar, ein Schauspiel in vier Aufzügen von Marco Praga, in einer deutschen Uebertragung von Otto Sommer - storff: „Ehrbare Mädchen" — am Mittwoch, den 25. Februar, ein Schauspiel in drei Auszügen von Felix Philippi „Das alte Lied" und am Sonnabend, den 21. März, ein Schauspiel in vier Acten von Gerhärt Hauptmann „Einsame Menschen", verdient das letzte, literarisch betrachtet, weitaus die meiste Beachtung. Gerhart Hauptmann ist das Pflegekind des Vereins „Freie Bühne", seine beiden Erstlingsdramen „Vor Sonnenaufgang" und das „Das Friedenssest" kamen in der vorjährigen Spielzeit zur Ausführung, das Drama „Einsame Menschen" in der diesjährigen, am Sonntag, den 11. Januar; von den Brettern der „Freien Bühne" ist es dann aus die des Deutschen Theaters übergegangen. Mehr als ein halbes Dutzend Vorstellungen hat es hier freilich nicht erlebt; es fehlt ihm eben jeder volksthümliche Zug, jede stärkere Spannung, jede anziehende Verwickelung. Aber der Fortschritt über die unbeschreibliche Rohheit des Drama's „Vor Sonnenaufgang", über die öde Langweiligkeit des Schauspiels „Das Friedensfest" ist unverkennbar. Sowohl in dem moralischen Gefühl dessen, was der dramatische Dichter, der doch im letzten Kern ein Erzieher und Bildner seines Volkes sein will und sein soll, dem Volke von der Bühne herab bieten darf, wie in dem Ver- ständniß der theatralischen Kunst. Schade nur, daß in Gerhart Hauptmann^s Talent das charakterisirende Element ungleich stärker ist als das dramatische, daß er besser sein durchgesührte Miniaturen als Alsrescobilder malt. Der Conflict in seinem Tvama „Einsame Menschen" entspringt aus dem alten Motiv der „Wahlverwandtschaften": ein eng geschlossener Familienkreis wird durch das Eintreten einer neuen, kräftigen und selbstbewußten Persönlichkeit gesprengt. Zu dem jungen Privatgelehrten Johannes Vockerat, der mit seiner Frau und seiner Mutter einsam in einem Landhause bei Friedrichshagen am Müggelsee lebt, kommt durch Zufall eine russische Studentin Anna Mahr, gerade am Taustage seines ersten Kindes. Sie will einen früheren Bekannten, einen verbummelten Maler Braun, aussuchen, der sich bei seinem Frernde eine Weile aushält. Die Fremde wird freundlich ausgenommen, zur Theilnahme am Feste gebeten, zum längeren Bleiben ausgesordert und bleibt nun Tage, Wochen, Monate. Es entspinnt sich ein Sympathie-Verhältniß zwischen ihr und Johannes, das nicht Ehebruch ist, aber vollkommen genügt, um die Ehe Vockerat's mit seiner guten, kränklichen, ein wenig beschränkten Frau zu sprengen, seine braven, srommgläubigen, schlicht empfindenden Eltern ins Herz zu kränken und ihn selber, als Anna Mahr sich endlich, zu spät, zusammenrafft und das Haus verläßt, in das Wasser des Sees zu treiben. Trotz der melodramatischen Zuthaten, des Glockengeläutes, der Bahnhossklingeln und -Pfeifen, der Musik marschirender Turner, die den Zuschauer in Stimmung versetzen sollen, bleibt die dürftige Handlung innerlich unbelebt und unbewegt, ein noch mehr zwischen den Scenen als vor unseren Augen sich fortwährend steigernder Familienjammer. Sowohl bei denen, die neue Menschen sein wollen. Johannes und Anna, wie bei den altmodischen, der Mutter, dem Vater und der jungen Frau, herrscht das Wehleidige und die Unfähigkeit, zu einem muthigen Entschlüsse zu kommen, vor. Nicht aus einer That und einer Schuld, aus der Schwäche entwickelt sich der tragische Ausgang. Johannes ist der verzärtelte Stimmungsmensch, der von dem Geld seines Vaters lebt, immer große Projekte hat und nie zu dauernder Arbeit sich sammeln kann, weil ihn jeder Lärm, jeder Widerspruch, jede Forderung der Alltäglichkeit und jede Fliege an der Wand ärgert und reizt. Er möchte ein naturwissenschaftliches Buch im Sinne Darwirlls und Haeckells schreiben, aber er gelangt nicht zum Schluß; er möchte seiner Frau nicht untreu werden, aber er hat sich so sehr an den Umgang und die Unterhaltung Annans gewöhnt, daß er sich nicht davon loszureißen vermag; er glaubt nicht mehr und beneidet doch seine Eltern um ihren stillen und festen Glauben. Diese