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Deutsche Rundschau.
spiel „Das alte Lied". Ein betrogener Ehemann, diesmal ist es ein Rechtsanwalt, tödtet seine treulose Frau. Der zweite Act, in dem der Mann allmälig die Schuld der Gattin ersährt, ist mit theatralischem Geschick entworfen und ausgearbeitet. Felix Philippi gehört in diesem, wie in den beiden Dramen, die ich von ihm kenne, „Daniela" und „Veritas", zu den Nachempfindern und Nachahmern, er versteht es, die Gestalten, Vorwürfe und Effekte anderer Stücke in einer neuen Folge, Verbindung und Umdichtung, mit geringen Zuthaten aus eigenen Mitteln, vorzusühren. So ist seine Heldin in ihrer Erscheinung, Handlungsweise und Leichtfertigkeit eine treue Kopie der Jza aus Dumas^ Schauspiel „Der Fall Clemenceau". Origineller ist die Schilderung einer Berliner Zimmervermietherin und ihrer Wirthschaft; man merkt die Anlehnung, die Philippi darin an die naturalistische Richtung sucht, in der breiten Behandlung des Zustäudlichen wie in der Anwendung des Berliner Dialekts.
Das Berliner Theater hat sein Repertoire wiederum mannigsach erweitert, Hans Hopsen's Schauspiel „In der Mark" und Alexander Dumas^ Lustspiel „Der Freund der Frauen", in einer Bearbeitung von Dora Duncker, sind als besonders dankenswerthe Bereicherungen zu erwähnen. Von den Neuigkeiten ziehen zwei Trauerspiele von R i ch a r d V o ß, „Wehe denBesiegten", das am Donnerstag, den 29. Januar, und „Schuldig", das am Sonnabend, den 28. März, zur ersten Aufführung gelangte, die Aufmerksamkeit am stärksten aus sich. Die Beweglichkeit des Dichters hat in ihrem sprunghaften Wesen sür den ruhigen Beobachter etwas Unheimliches. Hastig wechselt er seine Stoffe, seine Form und Ausdrucksweise, in keinen Charakter, in keine Idee vertieft er sich, über keinen Plan grübelt und brütet er. Gerade den Verehrern seines Talentes wird es schwer, ihm aus seinen nachtwandlerischen Irrgänger: zu folgen. „Wehe den Besiegten" ist ein historisch-romantisches Drama, das in der Kindlichkeit seines Entwurfes und in dem Bombast seiner Sprache aus einen stolpernden und tastenden Anfänger schließen läßt, „Schuldig" ein sociales Volksstück in den grellsten Farben, voll roher Effecte, eine nervenzerreißende Folterung, mit der Geschicklichkeit eines erfahrenen Bühnenpraktikers ersonnen und durchgesührt. Aus der Rückkehr von Elba — dies ist der Inhalt des Dramccks „Wehe den Besiegten" — bringt Napoleon seine erste Nacht aus französischem Boden in einem Felsenschlosse der Gräfin Saint-Aubonne an der Küste zu. Ihr zwanzigjähiger Sohn Mario, ein fanatischer Anhänger der Bourbonen und Ossicier im Heere des Königs, will den Kaiser ermorden. Napoleon aber ist sein Vater, er hat mit der jungen Gräfin im Jahre 1795 ein Liebesverhältniß gehabt, dessen Frucht Mario ist. Natürlich hat der Kaiser keine Ahnung davon, und die Gräfin muß ihm die alten Erinnerungen zurückrufen. In einer schwülstigen Rede überzeugt er den jungen, verrückten Menschen von seinem Genie, Mario wirst sich ihm zu Füßen und schwört sür ihn zu sterben. Das geschieht im dritten Acte, der in Rochefort am 15. Juli 1815 spielt. Unter Napoleon's Augen wird Mario aus Befehl Ludwigs XVIII. als eidbrüchiger Ossicier erschossen, unmittelbar darauf schifft sich Napoleon aus dem Bellerophon nach England ein — „und ich sterbe allein," sagt die Gräfin und steht „wie in Entgeisterung". Unmöglich, dieser Thorheit gegenüber ernsthast zu bleiben; die abenteuerlichsten Schrullen der Romantiker berühren dagegen wie Wirklichkeiten. Das Volksdrama „Schuldig" behandelt dieselbe Frage wie Wilhelm Meyer^s Schauspiel „Unsichtbare Ketten" und kommt zu demselben Schluffe: der unschuldig Ver- urtheilte, der Jahre lang im Zuchthaus gesessen, begeht nach seiner Entlassung das Verbrechen, den Todtschlag, dessen man ihn vordem fälschlich angeklagt hatte, wirklich. Die Unklarheit und Verwirrung des Gefühls, die der trübe Bodensatz der meisten Dichtungen Vossens ist, tritt einmal wieder scharf und verletzend hervor. Wohin will er mit seiner Anklage gegen die Rechtspflege? Sollen Alle sreigesprochen werden, die sich nicht selbst sür schuldig bekennen? Dann liefen sieben Achtel aller Einbrecher und Mörder frei umher. An eine Unfehlbarkeit der Richter und der Geschworenen glaubt Niemand; es muß als irdische Gebrechlichkeit hingenommen werden, daß unter zehntausend Schuldigen auch ein Unschuldiger verurtheilt wird. Wenn aber dieser