Politische Rundschau.
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keit bewußt bleiben muß, werden auch seine Gegner aus wirthschaftlichem Gebiete ihrer eigenen Verantwortlichkeit gemäß ihre Entschließungen treffen. Dem constitutionellen Rägime kann es nur zum Vortheile gereichen, wenn eine Persönlichkeit von der Bedeutung des Fürsten Bismarck als thätiges Mitglied in den Reichstag eintritt. Daß Fürst Bismarck dem Vernehmen nach bei den parlamentarischen Erörterungen über den deutsch-österreichischen Handelsvertrag seine abweichende Aussassung zu begründen denkt, ist sein gutes Recht, gerade wie die Anhänger eines solchen Vertrages mit Fug ihren eigenen Standpunkt geltend machen werden. Keinesfalls kann man sich der Wahrnehmung verschließen, daß der zwischen dem Deutschen Reiche und Oesterreich- Ungarn vereinbarte Handelsvertrag eine neue handelspolitische Aera für Europa einleitet, wie denn auch allem Anscheine nach dieses handelspolitische Verhältniß aus die Zolldebatten in der französischen Deputirtenkammer einen tiefen Eindruck ausübt. Allerdings hat die gegen die schroff ausgeprägten schutzzöllnerischen Bestrebungen des großen französischen Zollausschusses gerichtete Bewegung in Frankreich selbst in jüngster Zeit eine bedeutende Ausdehnung gesunden. Die Seeplätze sehen sich in ihren Lebensinteressen ebenso bedroht wie diejenigen Industriezweige, die aus die zollfreie Einfuhr von Rohstoffen angewiesen sind. Andererseits möchten jedoch die Schutzzöllner in Frankreich aus die gute Beute nicht verzichten, so daß es des Zusammenwirkens einer ganzen Reihe zwingender Momente bedürfen wird, wenn aus den gegenwärtigen Zolldebatten der französischen Deputirtenkammer nicht der Generaltaris des schutzzöllnerischen Führers Mäline hervorgehen soll, sondern ein für die Nachbarstaaten annehmbarer. Daß an den deutsch-österreichischen Handelsvertrag sich zunächst ein solcher mit der Schweiz und dann mit Italien angliedern soll, so daß eine europäische Zollliga die Jsolirung Frankreichs hinter seiner chinesischen Zollmauer herbeisühren würde, ist den französischen Schutzzöllnern vom Schlage Msline's doch einigermaßen zum Bewußtsein gekommen, zumal da die panamerikanischen Bestrebungen befürchten lassen müssen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika durch Handelsverträge mit den übrigen amerikanischen Staaten der europäischen Ausfuhr noch weitere Schwierigkeiten bereiten wollen als bereits durch die Me Kinley-Bill geschaffen worden sind. Hierzu kommt der bedrohliche Charakter der Arbeiterbewegung, der im französischen Norddepartement, in Fourmies, deutlich zur Erscheinung gelangt ist.
In Deutschland ist die socialdemokratische Maifeier ohne Ruhestörungen verlaufen. Die Thatsache, daß die deutschen Arbeiter von Anfang an daraus verzichteten, den I.Mai selbst, einen Werktag, als Arbeiterseiertag zu betrachten, vielmehr erst an dem folgenden Sonntage durch Ausflüge ins Freie und festliche Versammlungen zu Gunsten des achtstündigen Normalarbeitstages demonstrirten, durfte bereits als ein beruhigendes Symptom angesehen werden. Auch empfiehlt es sich, stets von Neuem zu betonen, wie das entschiedene Vorgehen des deutschen Bürgerthums, insbesondere der deutschen Fabrikanten gegenüber den im vorigen Jahre erhobenen Forderungen der Socialdemokraten diese belehrt hat, daß sie nicht ungestraft den Boden der Gesetzlichkeit verlassen dürfen. Die Vorschrift: krinechim obsta erscheint insbesondere im Hinblick auf ein solches ungesetzliches Verhalten angebracht. Ungemein bezeichnend ist, daß beinahe ausschließlich in den romanischen Ländern aus Anlaß der Maifeier der Socialdemokratie und der damit im Zusammenhangs stehenden Agitation ernsthaftere Ausschreitungen erfolgten, bei denen die Anarchisten, allzeit bereit, jede Ruhestörung für ihre verbrecherischen Zwecke auszubeuten, wiederum die Hand im Spiele hatten. Man wird gut thun, dieser Thatsache die ihr gebührende Bedeutung beizumessen, weil die Gefahr derartiger Arbeiterdemonstrationen nicht so sehr in diesen selbst liegt, wie in den gegen den Staat und die Gesellschaft gerichteten Anschlägen der Anarchisten, die auf die Leichtgläubigkeit und Erregbarkeit der wirklichen Arbeiter speculiren, um dann, sobald ihr Anschlag geglückt ist, in den meisten Fällen spurlos zu verschwinden und anderwärts ihr trauriges Mätier fortzusetzen. In dieser Beziehung werden die Regierungen vor Allem Aufmerksamkeit bewähren müssen, wenn anders sie nicht verhängnißvollen Ueber- raschungen ausgesetzt sein wollen.