Heft 
(1891) 67
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Politische Rundschau.

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geschädigt werden. Das Referendum als ein neues Vorrecht der Executivgewalt soll gewissermaßen das Correctiv der geplanten Verfassungsrevision bilden. Im Gegensätze zu dem in der Schweiz üblichen Reserendum, welches die in einzelnen Cantonen übliche Volksabstimmung über Gesetzvorschläge bezeichnet, handelt es sich bei dem von dem klerikalen belgischen Ministerium empfohlenen Referendum um neue Befugnisse, die an­geblich der Krone, in Wirklichkeit aber der gegenwärtigen ultramontanen Regierung gewährt werden sollen. Die Executivgewalt soll nämlich in den Stand gesetzt werden, direct in Verbindung mit dem Wahlkörper zu treten, um diesen zu befragen, sei es vor einer parlamentarischen Debatte über die Art der einer politischen oder socialen Frage zu gebenden Lösung, sei es nach einer solchen Debatte über die Opportunität der vom Parlamente gefaßten Beschlüsse. Der Leiter des klerikalen Ministeriums betonte denn auch in der mit, der Prüfung der Vorlage über die Versassungsrevision betrauten Centralsection der Repräsentantenkammer die Vorzüge eines derartigen Ver­fahrens und hob hervor, daß nur aus Anlaß der wichtigsten Fragen davon Gebrauch gemacht werden würde, daß auch die Entschließungen der Executivgewalt in keiner Weise gebunden werden sollten, da der Wahlkörper keine Entscheidung treffen, sondern nur seine Ansicht über eine bestimmte Frage äußern würde. Löst die Regierung in einer bedeutsamen Politischen oder socialen Frage die Kammer auf, so ist das spätere Votum des Wahlkörpers, wie der Ministerpräsident ausführte, stets vom Parteigeiste beeinflußt, wie es denn auch schwierig sei, aus den Neuwahlen selbst ein klares Bild über die Beweggründe der Wähler zu gewinnen. Ferner wurde von Seiten der klerikalen Regierung betont, daß das geplante Referendum keineswegs so weit gehen sollte wie in der Schweiz, so daß die belgischen Bürger, gleichviel in welcher Anzahl, nicht etwa in der Lage wären, die Volksabstimmung zu verlangen, die vielmehr nur von der Executivgewalt herbeigeführt werden könnte.

Der bewährte liberale Parteiführer Fräre-Orban bekämpfte das von der Regierung gebilligte System mit aller Entschiedenheit als eine dauernde Einrichtung, welche daraus abziele, das Plebiscit in der Weise einzuführen, daß das in Belgien verfassungsmäßig bestehende repräsentative und parlamentarische System in gewissem Maße beseitigt würde. Gegenwärtig ernennt der König der Belgier seine Minister und entläßt sie, die den Kammern verantwortlich sind. Auch besitzt der König das Veto, so daß er­bte Sanctionirung eines von den Kammern beschlossenen Gesetzes verweigern kann, wie ihm ebenso das Recht zusteht, die Kammern aufzulösen. Der neue Vorschlag, dem Könige die Besugniß zur Einholung eines Plebiscits zu ertheilen, wurde von Frsre- Orban als ein verhängnißvolles Geschenk bezeichnet, da die Anwendung eines solchen Mittels die ganze Oekonomie des repräsentativen und parlamentarischen Rägime Um­stürzen würde. Würde der Wahlkörper vor der Debatte über eine wichtige politische oder sociale Debatte befragt, so wäre dem Parlamente jede Freiheit der Entschließung genommen; erfolgte das Plebiscit aber nach der Debatte, so hieße dies: das parlamen­tarische Rögime ohne jede Notwendigkeit erschüttern. Mit Recht wies der liberale Parteiführer auf die Gefahren einer solchen directen Berufung an die Masse hin, die z. B. in Fragen wie denjenigen der nationalen Verteidigung, der Bewilligung von Millionen für neue Befestigungen sich ablehnend Verhalten würde, während das Parlament seine eigene Verantwortlichkeit zu würdigen vermag. Nicht minder betonte Frsre-Orban, daß das Unterrichtsgesetz z. B. von der großen Masse abgelehnt worden wäre. Dieser Hinweis zeigt unter Anderem, daß das klerikale Ministerium, welches den Einfluß der Geistlichkeit auf die große Masse der belgischen Bevölkerung sehr wohl kennt, sich das Referendum Vorbehalten möchte, um nach der unvermeidlichen Ver­sassungsrevision noch immer einen Ausweg behufs Verhinderung liberaler Beschlüsse der Repräsentantenkammer zu behalten. So verhindern die maßlosen Forderungen der belgischen Arbeiter in Verbindung mit den Ansprüchen der klerikalen Regierung eine gedeihliche Verfassungsrevision, welche andererseits als die Voraussetzung der ruhigen Entwicklung des Landes selbst betrachtet werden muß.

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