Heft 
(1891) 67
Seite
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Literarische Rundschau.

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ihrer bedeutendsten ist, kommt die Methode des Herausgebers zur vollen Geltung: indem diese wuchtigen Verszeilen in geschlossenen Linien Vorrücken, empfangen wir nicht nur den stärkeren Eindruck, sondern auch das bessere Verständniß. Hier, wenn irgendwo, lernen wir den Einsamen kennen, der von der Höhe seines Stübchens in der Spiegel­gasse herab dem Lause der Welt folgt und Tag um Tag mit einer Bemerkung begleitet. Die Bitterkeit des Zurückgesetzten mag seinen Blick und sein Wort geschärft haben. Aber niemals verleugnet er weder deu feurigen Eiter für die Wahrheit und das Schöne noch den heiligen Zorn und die heilige Liebe für das Vaterland. Innig mit diesem verwachsen, ein guter Oesterreicher und ein loyaler Patriot, schmeichelt er doch so wenig der Regierung wie dem Volk und findet für jede Dissonanz den erlösenden Ausdruck im Epigramm. Es sind Selbstbekenntnisse; nur für sich selbst hat Grillparzer dieseSpott- und Stachelverse" geschrieben, von deren größerer Anzahl freilich das mäignatio täell" gilt. Doch der Unwille spannt die Saiten seines Innern auf den höchsten Ton: nicht verdrossen, wie man glauben möchte,mit den ewigen Göttern gemeinsam" sitzt er dort oben, in den stillen Räumen, welche die Pietät der Wenigen, die seinem Herzen nahe standen, lange noch bewahrt hat, wie er sie verlassen: mit all' ihren Erinnerungen, mit den Büchern auf dem Schreibtisch und den Bildern an den Wänden, mit dem alten Flügel, den einst Schubert's Finger berührt, mit den Kränzen, die spät erst, fast zu spät gekommen waren. Von der Menge Gunst und Ungunst nicht berührt, spricht er sein Verbiet; und eben die vollkommene Rücksichtslosigkeit, mit der ein überlegener Geist sich an den Erscheinungen der Zeit mißt, verleiht den Sinnsprüchen Grillparzer's ihren unvergänglichen Werth: sie werfen ihr durchdringendes Licht nicht nur auf ästhetische Fragen, auf politische Persönlichkeiten und Ereignisse; sie beleuchten auch die geheimsten Seelentiefen des Dichters, der Menschen und Dinge also betrachtet, zeigen ihn uns in seiner ganzen, stolzen Eigenart und werden darum immer eine der wichtigsten Quellen zu seiner Charakteristik bleiben.

R.

Graf Caylus.

Ussn)' sur te eointe cle Oaz tus. Zamual lloebsbiavo. Uvts, Ilaobetts Oia.

1889 .

Von Winckelmann verdunkelt, von Lessing abfällig beurtheilt, von feinen revo­lutionären Landsleuten gehaßt, ist Graf Caylus früh beinahe vergessen worden. Neuerdings haben ein paar Alterthumssorscher, zumal Stark (Handbuch der Archäo­logie der Kunst") aus seine Verdienste hingewieseu; aber eine genaue Behandlung, wie sie der bedeutende Archäolog Werth ist, hat er erst in dem vorliegenden äußerst inter­essanten Buch von Rocheblave gefunden.

Der Verfasser zeigt, wie Caylus im Gegensatz zu früheren Antiquaren die Kunst als ein gesondertes Gebiet der geistigen Welt heraushob; wie er ihre Ent­wicklung durch die Völkergeschichte hin nach neuen Methoden zu studiren suchte. Er ist es also, auf dessen Schultern unser großer Winckelmann steht; mögen seine Anschauungen im Einzelnen auch denen des Deutschen geradezu entgegengesetzt sein. Dieser vergötterte die absolute Schönheit der antiken Werke; sie waren ihm höchste Offenbarungen, die man nicht kritisirt, sondern über die man Kommentare schreibt und predigt; Caylus dagegen haßteallgemeine Theorien über die Monumente" und urtheilte scharf von seinem jüngeren und berühmteren Nebenbuhler:der erhitze sich für die Kunst, verstehe aber nichts davon." Die Sentenz war ungerecht, aber enthielt eine richtige Ahnung: daß man kunstgeschichtliche Zusammenhänge nicht aufspürt durch das Ausdeuten künstlerischer Ideen, sondern bloß durch Kenntniß der künstlerischen