Heft 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

Technik. Deshalb konnte auch dem gelehrten Grafen eine unscheinbare ägyptische oder etruskische Bronze lehrreicher erscheinen, als eine große Bildsäule der römischen Kaiser­zeit; und eben Reste antiker Kleinkunst sammelte er mit Vorliebe. Dem entsprachen dann die Themen seiner Vorlesungen in der .^saäsmis äss in8srixtion8":Vom Porzellan der Aegypter",Von der Perspective der Alten",Von der enkaustischen Malerei" u. s. w. Rocheblave mag schon recht haben, wenn er meint, seine tech­nischen Kenntnisse habe Winckelmann sich aus den Werken des Grasen Caylus geholt.

Aber auch Lessing hat viel von seinem Gegner gelernt. Der lockt Be­trachtungen geradezu hervor, wie sie imLaokoon" ausgesponnen sind. Man beachtete früher zu wenig, daß es schon bei Caylus (Tablsaux tirs8 äs l'IIlaäs st äs l'^ssss ä'Uomsrs st äs l'Lnsiäs äs VirZils", xuK. XXIII,. an 1757) heißt: Im Uebrigen hat die Poesie, älter als die Malerei, dieser gegenüber große Vor­theile .... Sie malt die Zeitenfolge, sie drückt die Bewegung, die flüchtigen Uebergänge, die Verkettung von Handlungeil aus. Die Malerei . . . kann den Augen nur den einen glücklichen Moment darstellen."

Aber andererseits betont der Verfasser vielleicht zu wenig, wie vereinsamt solch' guter Gedanke in dem systemlosen Geiste des französischen Antiquars steht. Ein paar Seiten darüber liest man jenes Urtheil, das Lessing zur Polemik reizte: man könne wohl die Anzahl der einem Poeten zu entnehmenden Gemälde als Prüfstein benutzen für die Größe seines Genius. Das sind Einfälle eines originellen Kopfes, dem es aus etliche Widersprüche nicht ankommt.

Auch blieb Caylus immer ein wenig Dilettant; Archäolog und der griechischen Sprache unkundig: schon das ist bezeichnend. Und der vornehme Herr kümmerte sich noch um eine Menge schöner Dinge neben der Kunstgeschichte und Aesthetik. In erster Linie zeichnete und gravirte er mit vielem Fleiße; seine Kupferstiche schafften ihm einen Sitz in der Malerakademie zu Paris, wo er denn, schon seiner persönlichen Ver­bindungen wegen, in kurzer Zeit das einflußreichste Wort sprach, und diese Macht benützte er, um aus die Zukunft der französischen Kunst kräftig einznwirken; wenn der Verfasser, den ich hier nicht controliren kann, recht haben sollte: entscheidend.

Die Forderungen, welche Caylus an jüngere Maler und Bildhauer stellte und denen er zum Siege hals, sind in der That bedeutsam genug: statt der akademischen Vorbilder sollen lebende Modelle gezeichnet, statt der italienischen Epigonen die Meister der leoninischen Periode und die Alten nachgeahmt, statt der Phantasiegewänder histo­rische Kostüme gewählt werden. Das Alles drang durch; aber es lag Wohl überhaupt in der Zeit. Rocheblave saßt das Lebenswerk des Grasen nach dieser Seite kurz zu­sammen:Caylus bildete Vien aus; Vien wird David bilden."

Schon aus dem Bisherigen ergibt es sich, daß wir mit einem bedeutsamen Buche zu thun haben, welches kein Kunsthistoriker künftig wird vernachlässigen dürfen. Eine ganz besondere Freude aber muß dieserLssai" dem Psychologen bereiten. Denn eine bizarre und kräftige Persönlichkeit ist mit fester Hand derart gezeichnet, daß sie vor unseren Blicken aus- und abgeht. Caylus war in den Ueberlieferungen des siebzehnten Jahrhunderts ausgewachsen und fand sich nicht in eine neu werdende Welt; zumal seit dem Tode seiner Mutter war er einsam, selbst in der buntesten Umgebung; voll Von Widerwillen gegen dasGeschwätz der Autoren" stieß er Voltaire zurück und gerieth zu Diderot in die grimmigste Gegnerschaft; aber für einen Eremiten fehlten ihm wichtige Eigenschaften.Dieser Aristokrat in Wasserstiefeln" mußte zu Zeiten ein gewaltsames Temperament entladen; in Arbeit und Genuß. Wie sich ein solcher Mensch entwickeln wird, ist von Anfang vorauszusehen: über ihn kommt verlassenes und vergrilltes Alter, indem er sich stets mehr verhärtet und nach allen Seiten hin abschrofft- Rocheblave charakterisirt den Gemüthszustand gut:Rauh, doch wohlwollend, reicher ohne Zweifel an Herz als an Seele." So ist der seltsame Mann seines Weges gegangen; ihm au der Hand eines kundigen Führers nachzugehen, war der Mühe reichlich Werth. C. G. Bruno.