Heft 
(1891) 67
Seite
477
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Literarische Notizen.

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Geschichte der Preußischen Garde.

Von Oskar Häring. Berlin, Kurt Brach­vogel. 1891.

Wir begrüßen grundsätzlich jedes Buch, welches einen Theil unserer Heeresgeschichte in allgemein verständlicher Form wiedergibt, mit aufrichtiger Freude: die Geschichte unserer Armee ist io eng und unlöslich mit der Geschichte unseres ganzen Vaterlandes verwachsen, daß jedes Buch, welches sich mit jener beschäftigt, der Verallgemeinerung besserer Kenntnisse über die letztere dient. Und in welchem Maße dies nothwendig ist, welche Lücken leider der Schul­unterricht gerade auf dem Gebiet der vater­ländischen Geschichte läßt, weiß Jeder, der durch seinen Beruf in die Lage kommt, sich mit unserer Jugend zu beschäftigen. Wir begrüßen das vorliegende Buch mit doppelter Freude, weil uns der Gedanke ein äußerst glücklicher schien, gerade die Geschichte der preußischen Garde gewissermaßen als den Grundstock einer Armeegeschichte in weiterem Sinne zu benutzen; ist die Garde doch an fast allen Ruhmesthaten unseres Heeres in hervorragender Weise betheiligt gewesen. Leider hat das Buch uns enttäuscht. Es ist zweifellos in der redlichsten, besten Ab­sicht geschrieben, ein warmes patriotisches Em­pfinden leuchtet überall aus ihm hervor, und auch der Grundton, auf den es gestimmt ist: eine volksthümliche Darstellung der Heldenthaten der Garde zu geben, scheint dem Verfasser leidlich richtig vorgeschwebt zu haben. Ferner wollen wir von vornherein anerkennen, daß Herr Häring fast stets gute Quellen benutzt und überaus fleißig Material gesammelt hat. Fügen wir noch hinzu, daß der Verleger das Buch hübsch aus­stattete, so ist damit aber auch Alles, was wir zum Lobe desselben sagen können, erschöpft. Eine volksthümliche Darstellung der Geschichte der Garde muß auf einem höheren Standpunkt stehen, als aus dem Buch spricht: sie darf sich nicht damit begnügen, eine Aneinanderreihung der Kriege, Schlachten und Gefechte zu geben, zu denen Preußens Fahnen entfaltet wurden; sondern sie muß, von dem organischen Zusammen­hang zwischen Heer, Volk und Herrscher aus­gehend, der fortschreitenden Ausgestaltung des Heeres gerecht werden. Das ist gerade der Vorzug, welchen die Geschichte der Garde bietet, daß diese nicht nur dis Geschicke der Söhne einer Provinz widerspiegelt: aus allen Gauen des Hohenzollernstaates mit einem bevorzugten Ersatz rekrutirt; unter den Augen der obersten Kriegsherrn selbst ausgebildet; beider Erprobung aller Neubewasfnungen, aller Neuausrüstungen, aller neuen Reglements wesentlich betheiligt; allezeit von einem besonders ausgesuchten Officiercorps geführt, wurde sie eine Muster­truppe nicht im Sinne der Napoleonischen Garden, welche durch Auswahl der Mannschaft aus den Truppentheilen des übrigen Heeres gebildet waren und gewissermaßen eine Dynastie­truppe darstellten, sondern als bevorzugtes Glied des ganzen Heeres, als prima, intor paros. Jene, die Garden Napoleon's, waren an die Person des Kaisers und an seinen Thron ge­fesselt, sie galten als seine Schlachtenreserve, als

das Instrument für den Massenstoß, der meist die Entscheidung seiner siegreichen Schlachten auszeichnete, und sie ernteten oft mit leichter Mühe die Lorbeeren, welche eigentlich die Masse des Heeres schon vorher in mühevollem, lang­wierigem Kampfe errungen hatte; das preußische Gardecorps aber kämpfte stets Schulter an Schulter mit allen übrigen Theilen der Armee, ihm ward im Kriege, mindestens in der neueren Zeit, keinerlei Bevorzugung, sei es im Hinblick auf Entbehrungen und Lasten, sei es in Bezug auf das Ziel des Kampfes, zu Theil. Von all dem, was hier nur mit flüchtigen Worten an­gedeutet werden kann und was eingehend zu entwickeln und auszuführen Aufgabe einer wirk­lichen Geschichte der Garden wäre, sagt das vor­liegende Buch fast nichts; um nur ein Beispiel anzuführen: die Reorganisation des preußischen Heeres durch König Wilhelm wird auf 9 (!) Zeilen abgefertigt. Dagegen führt das Werk genau auf, daß etwa das Grenadier-Bataillon Kleist bei Leuthen siebenundvierzig Mann oder das Garde-Husaren - Regiment bei Königgrätz zwei Officiere und drei Mann verlor, es geht fast überall auf Kleinigkeiten ein und verliert die weiteren Gesichtspunkte, die doch allein von Bedeutung sind. Zu alledem kommt, daß die Schreibweise des Verfassers wenig ansprechend ist: Ausdrücke wiedazumal" oderunter'm" Sätze gleich:Eine Vernichtungsschlacht war der Erfolg nicht gewesen, es klappte diesmal nicht recht" (S. 22)es treten dem Bünd- niß das deutsche Reich bei" (S. 19)nach einer fruchtlosen Kanonade machte der Herzog Kehrt vor den Höhen von Valmy; der Herzog machte Kehrt und räumte Frankreich" (S. 83) Gegen diese Aufstellung ging der Empereur vor" (S. 90)Auf die Südfront war im lebhaften Tempo weiter kanonirt worden. Deren Forts waren arg beschädigt" (S. 347) finden sich häufig.

Wenn man über die Geschichte der preußi­schen Garde schreiben wollte, so war das nach zwei Richtungen hin möglich: entweder in Ge­stalt eines ernsten, aus eingehendem Studium aufgebauten, die Heeresorganisation und die Kriegsgeschichte kritisch berücksichtigenden Wer­kes, oder in Gestalt eines volksthümlichen, für weitere Kreise berechneten Buches. Nur ein solches kann Herrn Häring vorgeschwebt haben; er ist aber auch dieser durchaus dankenswertsten Aufgabe nicht gewachsen gewesen. Wirklich volkstümlich schreiben ist nicht leicht, ist sogar sehr schwer. Wer nicht die Befähigung dazu in sich fühlt, läßt besser die Hand davon. Der gute Wille allein thut es nicht.

Imperial klerman^. 8i6ne^

4Vllitman. Tauellnitr: Lckition. 1890. Das Kaiserliche Deutschland. Von Sid- ney Whitman. Aus dem Englischen von O. Th. Alexander. Zweite Auflage. Berlin, F. Ulrich L Comp. 1890.

Dieses merkwürdige und lehrreiche Buch ist schon in allen deutschen Zeitungen eingehend besprochen worden, so daß hier nichts Anderes erübrigt, als an einen kurzen Bericht den Wunsch zu knüpfen, die Leser dieser Blätter möchten,