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Deutsche Rundschau.
sofern ihnen die Schrift bisher entgangen sein sollte, nicht weiter zögern, sie kennen zu lernen. Der Verfasser behandelt seinen Stoff, die Schilderung der inneren Verhältnisse des deutschen Reiches unserer Zeit, in vierzehn Capiteln, unter denen bezeichnender Weise diese drei die stärksten sind und in der Mitte stehen: Eine väterliche Regierung, Fürst Bismack, die Armee. Er will die Gesammterscheinung des heutigen Deutschland, dessen Auftreten für viele Engländer etwas Plötzliches und Unbegreifliches an sich hat, seinen Landsleuten verständlich machen. Wir denken, daß ihm dies wohl gelungen ist. Es liegt in der Natur der Sache, wenn Mr. Whitman sich am eingehendsten mit denjenigen deutschen Einrichtungen und Eigenschaften befaßt, welche von den entsprechenden Punkten des englischen Wesens am weitesten abstehen. Er hat im Ganzen eine sehr günstige Vorstellung von der deutschen Art, ohne deswegen im Einzelnen sein gesundes und klares Urtheil gefangen zu geben. Jedenfalls ist bisher noch niemals und von keinem Ausländer ein Buch über Deutschland geschrieben worden, das mit solcher Sachkenntnis so sorgsam und nachempfindend den Charakter des deutschen Volkes und die Organisation des neuen Reiches darstellt; ja auch von der älteren Literatur, seit Madame de Staöl, ist nichts dieser Arbeit zu vergleichen. Für uns ist es am nützlichsten, in diesem uns vorgehaltenen Spiegel die Abbildung unserer Schwächen zu studiren, und darum seien die Capitel 9—13, vornehmlich aber das elfte: ,Der Philisters besonders hervorgehoben. — Das Buch erschöpft die Sache nicht, wie dies weder beabsichtigt war noch verständiger Weise gefordert werden kann: Preußen, als das Rückgrat des deutschen Organismus, gewährt mit Recht die Grundlage der gesammten Beschreibung, doch ist darüber Süddeutschland unleugbar zu kurz gekommen. Das ist insofern schade, als daraufhin manche Engländer, wenn sie überdies noch die ungemeine Verbreitung des geistreich- thörichten Buches „Rembrandt als Erzieher" erwägen, wirklich die Ansicht gewinnen konnten, die Äxe der deutschen Cultur gehe heute durch Ritzebüttel; indeß in Wahrheit es zwar — Gott sei Dank — eine einheitliche deutsche Cultur gibt, aber keine deutsche Landschaft die andere darum ausschließen dürfte. Daß Mr. Whitman der deutschen Wissenschaft zwar öfters rühmend gedenkt, aber ihr in seinem Buche keinen besonderen Abschnitt widmet, wird man ganz begreiflich finden, da gerade sie und die deutschen Universitäten dem englischen Publicum wiederholt sind achtungsvoll vorgestellt worden. Wir können nur wünschen und hoffen, daß „Iva- x> sriul Osrmun^" in England zu starker und dauernder Wirkung gelange; das wird allerseits zum Vortheile gereichen. — Die deutsche Uebersetzung ist durch die Beigabe eines autographirten Briefes von Feldmarschall Moltke ausgezeichnet worden, welcher Mr. Whitman seine Anerkennung ausgesprochen hat. Wenngleich bei dieser Uebertragung manche Feinheiten und Spitzen der englischen Fassung verloren gegangen sind, so ist es doch eine gute Arbeit und
darf deutschen Lesern nachdrücklich empfohlen werden.
k?. Erlebnisse eines Feldgeistlichen im Kriege 1870-71. Von vr. Eduard Pfleiderer, Professor der Philosophie in Tübingen. München, C. H. Beck. 1890.
Die Beck'sche Verlagshandlung in Nörd- lingen und München hat die Darstellungen unseres großen Nationalkriegs aus der Feder von Mitkämpfern, von welchen eine Reihe hübsch ausgestatteter Bändchen vorliegt — das jüngste ist das von Dinkelberg, „Erlebnisse eines Kaiser- Alexander-Grenadiers" — durch ein ganz eigenartiges Büchlein vermehrt. Während bisher Mitkämpfer im eigentlichsten und engsteir Sinn das Wort ergriffen haben, bietet uns diesmal der zweite Feldgeistliche der württembergischen Felddivision, vr. Eduard Pfleiderer, — von 1873—77 o. ö. Professor der Philosophie in Kiel, seit 1877 in Tübingen — eine Schilderung seiner Erlebnisse dar, welche ihren Reiz nicht bloß durch die Sache, das Hereingreifen des Ewigen und Friedevollen in den erbarmungslosen Völkerkampf, sondern auch durch die Persönlichkeit des Erzählers empfängt. Pfleiderer ist allerdings eine in sittlich-religiöser Hinsicht scharfkantige und in sich geschlossene Persönlichkeit; aber so entschieden und bestimmt in seinen Ueberzeugungen er ist, so duldsam ist er gegen Andere. Das Amt des Feldpredigers hat er in dem Geiste des Apostels übernommen, welcher „den Griechen ein Grieche, den Juden ein Jude, Allen Alles" sein wollte, und so hat er für jede seiner Pastoration übergebene Seele den rechten Ton, für jede Lage das treffende Wort aus der Schrift und dem eigenen Herzen gefunden; takt- und wirkungsvoller konnte das hohe und schwere Amt nicht wohl versehen werden. Ein Theologe und Philosoph sieht Manches, was dem Krieger entgeht; so wird das vorliegende Büchlein auch im Allgemeinen dazu beitragen, daß das große Jahr unserer Geschichte in immer vollere Beleuchtung tritt. k 7 . Aus den Erinnerungen eines schleswig-holsteinischen Officiers. Von F. A. von Levetzow. Schleswig, Jul. Bergas. 1890.
Ein gut deutsch und gut schleswig-holsteinisch gesinnter Edelmann, welcher seiner Zeit als Premierlieutenant und Adjutant in der schleswig-holsteinischen Reiterbrigade gedient hat, fühlt sich gedrungen, in diesen Erinnerungen die, soweit seine Kenntniß der Sache reicht, wahre Geschichte des Kampfes der Elbherzog- thümer gegen die Dänen zu schreiben und vor Allem der ihn empörenden Auffassung entgegenzutreten, als ob 1848 ein „Aufruhr" gegen den gesetzlichen Herrscher stattgefunden. Er wendet sich dabei mit großer Schärfe gegen die eiderdänischen Politiker, welche 1848 das Heft in die Hände bekamen, und charakterisirt ihre rücksichtslose Parteipolitik mit einer leidenschaftlichen Energie, welcher man das guaegus ixsu inissrrima viäi sehr wohl anmerkt. Gegen die Person Friedrich's VII. und gegen die Herrschaft des Oldenburger Mannsstammes war die Erhebung des Volkes vom Jahre 1848 in keiner