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Deutsche Rundschau.
Nach diesem Übereinkommen wurde denn auch verfahren, und als Jnn- stetten Punkt zwei Uhr den Marktplatz passirte, grüßte Crampas zunächst von seinem Schlitten aus zu Efsi hinüber und schloß sich dann dem Jnnstetten'schen an. Der Pastor saß neben ihm. Gieshübler's Schlitten, mit Gieshübler selbst und Doctor Hannemann, folgte, jener in einem eleganten Büffelrock mit Marderbesatz, dieser in einem Bärenpelz, dem man ansah, daß er wenigstens dreißig Dienstjahre zählte. Hannemann war nämlich in seiner Jugend Schiffs- chirurgus aus einem Grönlandfahrer gewesen. Mirambo saß vorn, etwas aufgeregt wegen Unkenntniß im Kutschiren, ganz wie Lindequist vermuthet hatte.
Schon nach zwei Minuten war man an Utpatel's Mühle vorbei.
Zwischen Kessin und Uvagla (wo, der Sage nach, ein Wendentempel gestanden) lag ein nur etwa tausend Schritt breiter, aber Wohl anderthalb Meilen langer Waldstreifen, der an seiner rechten Längsseite das Meer, an seiner linken, bis weit an den Horizont hin, ein großes, überaus fruchtbares und gut angebautes Stück Land hatte. Hier, an der Binnenseite, flogen jetzt die drei Schlitten hin, in einiger Entfernung ein paar alte Kutschwagen vor sich, in denen, aller Wahrscheinlichkeit nach, andere nach der Oberförsterei hin eingeladene Gäste saßen. Einer dieser Wagen war an seinen altmodisch hohen Rädern deutlich zu erkennen, es war der Papenhagen'sche. Natürlich. Güldenklee galt als der beste Redner des Kreises (noch besser als Borcke, ja selbst besser als Grasenabb) und durfte bei Festlichkeiten nicht leicht fehlen.
Die Fahrt ging rasch — auch die herrschaftlichen Kutscher strengten sich an und wollten sich nicht überholen lassen — so daß man schon um Drei vor der Oberförsterei hielt. Ring, ein stattlicher, militärisch dreinschauender Herr von Mitte fünfzig, der den ersten Feldzug in Schleswig noch unter Wrangel und Bonin mitgemacht und sich bei Erstürmung des Danewerks ausgezeichnet hatte, stand in der Thür und empfing seine Gäste, die, nachdem sie abgelegt und die Frau des Hauses begrüßt hatten, zunächst vor einem langgedeckten Kaffeetische Platz nahmen, ans dem kunstvoll aufgeschichtete Kuchenpyramiden standen. Die Obersörsterin, eine von Natur sehr ängstliche, zum mindesten aber sehr befangene Frau, zeigte sich auch als Wirthin so, was den überaus eitlen Oberförster, der für Sicherheit und Schneidigkeit war, ganz augenscheinlich verdroß. Zum Glück kam sein Unmuth zu keinem Ausbruch, denn von dem, was seine Frau vermissen ließ, hatten seine Töchter desto mehr, bildhübsche Backfische von Vierzehn und Dreizehn, die ganz nach dem Vater schlugen. Besonders die ältere, Cora, kokettirte sofort mit Jnnstetten und Crampas, und beide gingen auch daraus ein. Efsi ärgerte sich darüber und schämte sich dann wieder, daß sie sich geärgert habe. Sie saß neben Sidonie von Grasenabb und sagte: „Sonderbar, so bin ich auch gewesen als ich Vierzehn war."
Efsi rechnete daraus, daß Sidonie dies bestreiten oder doch wenigstens Einschränkungen machen würde. Statt dessen sagte diese: „Das kann ich mir denken."
„Und wie der Vater sie verzieht," fuhr Esst halb verlegen, und nur, um doch 'was zu sagen, fort.
Sidonie nickte. „Da liegt es. Keine Zucht. Das ist die Signatur unserer Zeit."