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Deutsche Rundschau.
Während sich dies abspielte, waren endlich auch die Kutschen heran gekommen, die Grasenabb'sche voraus, und als Sidonie, nach kurzem Dank gegen Esst, sich verabschiedet und dem seine türkische Pseise rauchenden Vater gegenüber ihren Rückplatz eingenommen hatte, ging es mit dem Wagen ohne Weiteres aus den Schloon zu; die Pserde sanken tief ein, aber die hohen Räder ließen alle Gefahr leicht überwinden, und ehe eine halbe Minute vorüber war, trabten auch schon die Grasenabbs drüben weiter. Die anderen Kutschen folgten. Efsi sah ihnen nicht ohne Neid nach. Indessen nicht lange, denn auch für die Schlittenfahrer war in der zwischenliegenden Zeit Rath geschafft worden, und zwar einfach dadurch, daß sich Jnnstetten entschlossen hatte, statt aller weiteren Forcirung das friedlichere Mittel eines Umweges zu wählen. Also genau das, was Sidonie gleich Anfangs in Sicht gestellt hatte. Vom rechten Flügel her klang des Landraths bestimmte Weisung herüber, vorläufig diesseits zu bleiben und ihm durch die Dünen hin bis an eine weiter hinauf gelegene Bohlenbrücke zu folgen. Als beide Kutscher, Knut und Kruse, so verständigt waren, trat der Major, der, um Sidonie zu Helsen, gleichzeitig mit dieser ausgestiegen war, wieder an Effi heran und sagte: „Ich kann Sie nicht allein lassen, gnäd'ge Frau."
Esst war einen Augenblick unschlüssig, rückte dann aber rasch von der einen Seite nach der anderen hinüber, und Crampas nahm links neben ihr Platz.
All' dies hätte vielleicht mißdeutet werden können, Crampas selbst aber war zu sehr Frauenkenner, um es sich bloß in Eitelkeit zurechtzulegen. Er sah deutlich, daß Effi nur that, was, nach Lage der Sache, das einzig Richtige war. Es War unmöglich für sie, sich seine Gegenwart zu verbitten. Und so ging es denn im Fluge den beiden anderen Schlitten nach, immer dicht an dem Wasserlaufe hin, an dessen anderem User dunkle Waldmassen aufragten. Effi sah hinüber und nahm an, daß schließlich an dem landeinwärts gelegenen Anßenrande des Waldes hin die Weiterfahrt gehen würde, genau also den Weg entlang, auf dem man in früher Nachmittagsstunde gekommen war. Jnnstetten aber hatte sich inzwischen einen anderen Plan gemacht, und im selben Augenblicke, wo sein Schlitten die Bohlenbrücke passirte, bog er, statt den Außenweg zu wählen, in einen schmaleren Weg ein, der mitten durch die dichte Waldmasse hindurch führte. Effi schrak zusammen. Bis dahin waren Lust und Licht um sie her gewesen, aber jetzt war es damit vorbei, und die dunklen Kronen wölbten sich über ihr. Ein Zittern überkam sie, und sie schob die Finger fest in einander, um sich einen Halt zu geben. Gedanken und Bilder jagten sich, und eines dieser Bilder war das Mütterchen in dem Gedichte, das die „Gottesmauer" hieß, und wie das Mütterchen, so betete auch sie jetzt, daß Gott eine Mauer um sie her bauen möge. Zwei, drei Male kam es auch über ihre Lippen, aber mit einem Male fühlte sie, daß es todte Worte waren. Sie fürchtete sich und War doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus.
„Effi," klang es jetzt leis an ihr Ohr, und sie hörte, daß seine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löste die Finger, die sie noch immer geschlossen hielt, und überdeckte sie mit heißen Küssen. Es war ihr, als wandle sie eine Ohnmacht an.