Heft 
(1894) 82
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Deutsche Rundschau.

schwister aber mußten noch erzogen werden. Unter ihnen Ludwig Grimm. Von ihm stammen die Porträts der Geschwister und anderer Verwandten in Fülle. Die Mutter hat er in vielen Stellungen gezeichnet. Aus dem Schreibtische meines Vaters stand, soweit ich zurückdenke, eine vergoldete Dose mit ihrem Miniaturporträt darauf. Heute in meinem Besitze. Es zeigt die Mutter in ihren letzten Jahren. Wie meine eigene Mutter hieß sie Dorothea. Sie ist nicht sehr alt geworden.

Nach der Mutter Tode nahm das Zusammenleben sämmtlicher Geschwister in Kassel abermals neue Form an. Alle Sorgen aber verhinderten nicht, daß Jacob und Wilhelm's Dasein sich zu immer weiterer Arbeit erbreiterte, und daß sie zugleich, wollend oder nicht wollend, zur Mitte eines Kreises junger Freunde und Freundinnen wurden, den sie belebten und dem sie den Wunsch einflößten, an dem, was die Brüder betrieben, selbst geistig betheiligt zu sein. Ihre Werke und ihr Briefwechsel zeigen, wie Wohl sie sich inmitten dieses selbsterzogenen Publicums fühlten. Es liegt etwas herrlich Autochthonisches in den Kasseler Zeiten Jacob's und Wilhelm's. In der Blüthe dieser Tage sind die Kinder- und Hausmärchen gesammelt und gedruckt worden.

Die Kinder- und Hausmärchen sind nicht das Product in besonderer Richtung gethaner Arbeit, sondern eines der herausgegriffenen Resultate ihrer sammelnden Thätigkeit. Die Brüder hatten bei den Märchen freilich die Kinder als den mitgenießenden Theil im Sinne. Das beweist schon die Widmung der ersten Auflage von 1812:An die Frau Elisabeth von Arnim für den kleinen Johannes Freimund." Freimund war Achim und Bettina von Arnim's erstes Kind, damals nicht lange auf die Welt gekommen. Aber man lese die Vorrede: wie wenig bei den Kinder- und Hausmärchen von den Sammlern damals an den alleinigen Gebrauch für Kinder und Haus gedacht wurde; in erster Linie kam es den Brüdern darauf an, diese bis dahin unbeachtet gebliebenen Blumen, die der dichtenden Phantasie des Volkes entsprangen, als einen Theil des allgemeinen nationalen Reichthums über­haupt ans Licht zu bringen.

Diese erste Ausgabe liegt vor mir. Ein Band auf schönes Papier gedruckt. Der Titel noch ohne die BezeichnungErster Band". Hier liegt ein Buch­zeichen, unbekannt von wem. Darauf gestickt mit grüner Seide:

Für dein Mädchen ohne Hände

Tankten gern zwei Mädchenhünde.

Die Vorrede trägt das Datum:Cassel, am 18. October 1812". Darunter schrieb Jacob später:gerade ein Jahr vor der Leipziger Schlacht". Ich finde ferner von meines Vaters Hand unter anderen noch folgende Be­merkungen:Die Vorrede von Wilhelm, ein paar Zusätze von Jacob." Von Jacob Märchen 6, 8. (Von der Nachtigall und der Blindschleiche und Die Hand mit dem Messer), aus dem französischen und englischen übersetzt; ich habe sie in der folgenden Ausgabe durch deutsche ersetzt."Von Jacob erzählt Nr. 12, 40, wahrscheinlich 51, 57. (Rapunzel; Der Räuberbräutigam; Der Fundevogel; Vom goldenen Vogel.) Die Anmerkungen gemeinschaft-