Heft 
(1894) 82
Seite
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Literarische Notizen.

Zu den Aufgaben, die mit durch die Wei­marer Ausgabe gestellt werden, gehört eine neue Commentiiung der Schriften Goethe's. Jeder­mann weiß, welches Verdienst sich gerade in diesem Punkts die Hempel'sche Ausgabe und die sonstwie mit ihr zusammenhängenden Erläu- terungsschristen erworben haben. Aber fast zwanzig Jahre lebhafter Weiterarbeit sind seit­dem vergangen, und eine Zusammenfassung des zerstreut Geleisteten ist jetzt unabweislich. Bieder­mann beginnt seine in zwangloser Folge er­scheinenden Erläuterungen zu Goethe mit dem Kommentar der Tag- und Jahreshefte, die er selbst für Hempel bearbeitet hatte, und deren Text von ihm in der Weimarer Ausgabe, Bd. 35 und 36, herausgegeben worden ist. Kommen­tare haben naturgemäß etwas Vergängliches an sich, namentlich wenn sie solchen Schriften zu dienen bestimmt sind, deren Erforschung noch im Flusse ist. Deswegen dürste es sich empfehlen, großen monumentalen Ausgaben überhaupt keine Erläuterungen mitzugeben, sondern die an sich nothwendige Arbeit, wie im vorliegenden Falle, dem Privatbetrieb zu überlassen. Biedermann hat den Weg eingeschlagen, daß er seinen alten Hempel'schen Kommentar im Wesentlichen bei­behielt und ihn nnr, wo es nöthig schien, er­gänzte, berichtigte oder modificirte. Wir er­halten also der Hauptsache nach einen Abdruck seines Handexemplars. Dieses Verfahren, bei dem Biedermann niemals von der soliden Grund­lage seiner früheren Arbeit abzugehen brauchte, war aber doch nicht so ganz ungefährlich. Manche Erläuterungen wären, bei seiner ausgezeichneten Kenntnis; der Dinge, ohne Zweifel anders aus­gefallen, wenn er sie ganz frei geschrieben hätte, ohne Rücksicht auf das bereits Vorhandene oder nach und nach Hinzunotirte. So hätte z. B. die Heranziehung der Weimarer Ausgabe (III, 365) den Jrrthum zu 304 verhindern können, daß Goethe's Brief betreffs des Ponce de Leon vom 16. Januar 1802 datire, und nicht, wie es richtig ist, vom 16. Oktober. Diesen Ponce hatte Goethe auch zu 844 im Sinne, während die dort genanntenSchauspiele Arnim's" die 1813 erschienene Schaubühne sind. Die Be­merkung zu 195 trifft so, wie sie dasteht, gegen­über Sophie v. Laroche'sSchattenrissen ab­geschiedener Stunden", S. 442 ff. wohl formell, aber nicht sachlich das Richtige. Manches wird noch ein längerer praktischer Gebrauch des Buches uachzutragen oder abzunehmen haben. Wie dem auch sei: feststeht, daß Biedermann seinen

früheren Kommentar weit überholt hat. Hin­fort wird nur nach dem gegenwärtig vorgelegten zu citiren sein. Biedermann hat eine verdienst­liche Arbeit geliefert, für die ihm Dank gebührt, und deren Fortsetzung zu wünschen ist.

Die Geschichte des Erstlingswerks. Selbstbiographische Aufsätze. Eingeleitet von Karl Emil Franzos. Mit den Jugend­bildnissen der Dichter. Leipzig, Adolf Titze.

Es ist ein hübscher Gedanke von Karl Emil Franzos, dem Herausgeber derDeutschen Dich­tung", gewesen, die bedeutenderen der jetzt lebenden Schriftsteller zu Mittheilungen über ihr erstes in die Oessentlichkeit getretenes Werk

zu veranlassen. Wir verdanken dieser Anregung den vorliegenden Band, der aus den Aufsätzen hervorgegangen ist, wie sie nach und nach in jener Zeitschrift erschienen sind. Als ein ernstes Unternehmen geplant, ist es auch ernst aus­geführt worden. Ein eigenthümlicher, bald frühlingshafter, bald wehmüthiger Reiz liegt über den literarischen Anfängen, je nach der zeitlichen Entfernung, aus der sie betrachtet werden; aber zusammen gestatten sie einen merk­würdigen psychologischen Einblick in die dichte­rische Persönlichkeit, das Werden des Talents, und es ist gewiß nicht zufällig, daß Mehrere von den Aelteren das erste Schaffen mit der ersten Liebe verglichen haben. Theodor Fon­tane, Hermann Lingg, Conrad Ferdinand Meyer, Friedrich Spielhagen, Paul Heyse, Marie von Ebner-Eschenbach und Ernst Wiehert eröffnen als die Aeltesten die Reihe, die mit Ludwig Fulda als dem Jüngsten schließt. Nicht alle haben durch ihre späteren Leistungen das Erst­lingswerk übertroffen; für alle jedoch, auch wenn es heute vergessen sein mag, ist es charakteristisch geblieben, und es verlohnte sich daher wohl, seine Geschichte zu erzählen. Die, je weiter wir zurückgehen, nach alten Gemälden und Daguerreo- typen hergestellten Jugendbildnisse vervollstän­digen den Eindruck eines Buches, das, von der Verlagshandlung seines Gegenstandes würdig aus­gestattet , sicher in weiten Kreisen Anklang finden, unterhalten und zum Nachdenken anregen wird. Württembergische Künstler in Lebens­bildern. Von A. Wintterlin. Mit 22 Bildnissen in Holzschnitt. Deutsche Ver­lagsanstalt. Stuttgart, Leipzig, Berlin, Wien.

Die Mehrzahl dieser vierzig Künstler­biographien ist schon in derAllgemeinen Deutschen Biographie" veröffentlicht worden. Daher auch die knappe, auf das Thatsächliche gerichtete Fassung. Doch sind sie zum Theil für diese Sammlung überarbeitet und zu wärmer ausgeführten Lebensbildern erweitert. Die Reihe beginnt mit einem Meister der Spät­renaissance, dem Vaukünstler H. Schickhart, und geht bis zur Gegenwart herab. Der Löwen- äntheil fällt aber auf das Zeitalter des Herzogs Carl, unter dem eine Fülle von künstlerischen Talenten in Stuttgart sich zusammenfand, und auch ein künstlerischer Nachwuchs herangebildet wurde. Bekannt ist Goethe's Wort, der im Jahre 1197 eine Woche lang mit Dannecker und Rapp in diesen Kreisen verkehrt hatte: er habe hier Tage verlebt, wie er sie in Rom lebte. Von den Malern, Bildhauern, Baumeistern, Kupferstechern, deren Leben und Wirken hier erzählt wird, haben zwar viele kaum mehr als eine locale Bedeutung, originelle Charakterköpfe sind aber die meisten; manche, wie Dannecker, Schick, Wächter, die beiden Kupferstecher Müller u. A., behaupten auch ihren Platz in der allge­meinen Kunstgeschichte, und da überhaupt die verschiedenen Richtungen, in denen sich die neuere Kunst entwickelt hat, auch im schwäbischen Kunstleben sich widerspiegeln, ist Wintterlin's Buch zugleich ein nützlicher Beitrag zur deutschen Kunstgeschichte. Die Darstellung ist geschmack­voll und stets aus den ersten Quellen geschöpft.