Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

ihrer Liebenswürdigkeit, eines ihr eignen heitren Charmes, daß ich mich, mir selbst zum Trotz, in meinem letzten Herzenswinkel zum Verzeihen geneigt fühle."

Wüllersdors nickte.Kann ganz solgen, Jnnstetten, würde mir vielleicht ebenso gehen. Aber wenn Sie so zu der Sache stehen und mir sagen: ,Jch liebe diese Frau so sehr, daß ich ihr Alles verzeihen kannß und wenn wir dann das Andere hinzunehmen, daß Alles weit, weit zurückliegt, wie ein Geschehniß aus einem anderen Stern, ja, wenn es so liegt, Jnnstetten, so frage ich, wozu die ganze Geschichte?"

Weil es trotzdem sein muß. Ich habe mir's hin und her überlegt. Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu nehmen, wir sind durchaus ab­hängig von ihm. Ging' es, in Einsamkeit zu leben, so könnt' ich es gehen lassen; ich trüge dann die mir aufgepackte Last, das rechte Glück wäre hin, aber es müssen so viele leben ohne diesrechte Glück", und ich würde es auch müssen und auch können. Man braucht nicht glücklich zu sein, am allerwenigsten hat man einen Anspruch darauf, und den, der einem das Glück genommen hat, den braucht man nicht nothwendig aus der Welt zu schaffen. Man kann ihn, wenn man weltabgewandt weiter existiren will, auch laufen laßen. Aber im Zusammenleben mit den Menschen hat sich ein Etwas ausgebildet, das nun mal da ist und nach dessen Paragraphen wir uns gewöhnt haben, Alles zu beurtheilen, die andern und uns selbst. Und dagegen zu verstoßen, geht nicht; die Gesellschaft verachtet uns, und zuletzt thun wir es selbst und können es nicht aushalten und jagen uns die Kugel durch den Kopf. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen solche Vorlesung halte, die schließlich doch nur sagt, was sich Jeder selber hundertmal gesagt hat. Aber freilich, wer kann was Neues sagen! Also noch einmal, nichts von Haß oder dergleichen, und um eines Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich nicht Blut an den Händen haben; aber jenes, wenn Sie wollen, uns thrannisirende Gesellschafts-Etwas, das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl. Ich muß."

Ich weiß doch nicht, Jnnstetten . . ."

Jnnstetten lächelte.Sie sollen selbst entscheiden, Wüllersdors. Es ist jetzt zehn Uhr. Vor sechs Stunden, diese Concession will ich Ihnen vorweg machen, hatt' ich das Spiel noch in der Hand, könnt' ich noch das Eine und noch das Andere, da war noch ein Ausweg. Jetzt nicht mehr, jetzt stecke ich in einer Sackgasse. Wenn Sie wollen, so bin ich selber Schuld daran; ich hätte mich besser beherrschen und bewachen, Alles in mir verbergen, Alles im eigenen Herzen auskämpsen sollen. Aber es kam mir zu plötzlich, zu stark, und so kann ich mir kaum einen Vorwurf machen, meine Nerven nicht geschickter in Ordnung gehalten zu haben. Ich ging zu Ihnen und schrieb Ihnen einen Zettel, und damit war das Spiel aus meiner Hand. Von dem Augenblicke an hatte mein Unglück und, was schwerer wiegt, der Fleck auf meiner Ehre einen halben Mitwisser, und nach den ersten Worten, die wir hier gewechselt, hat es einen ganzen. Und weil dieser Mitwisser da ist, kann ich nicht mehr zurück."