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Deutsche Rundschau.
Gleich danach löste sich das Schiff von dem Brückensteg los; das Wetter war herrlich, Helle Morgensonne, nur wenig Passagiere an Bord. Jnnstetten gedachte des Tages, als er, mit Esst von der Hochzeitsreise zurückkehrend, hier am Ufer der Kessine hin in offenem Wagen gefahren war, — ein grauer Novembertag damals, aber er selber froh im Herzen; nun hatte sich's verkehrt: das Licht lag draußen, und der Novembertag war in ihm. Viele, viele Male war er dann des Weges hier gekommen, und der Frieden, der sich über die Felder breitete, das Zuchtvieh in den Koppeln, das aufhorchte, wenn er vorüberfuhr, die Leute bei der Arbeit, die Fruchtbarkeit der Aecker, das alles hatte seinem Sinne wohlgethan, und jetzt, in hartem Gegensatz dazu, war er froh, als etwas Gewölk heranzog und den lachenden blauen Himmel leise zu trüben begann. So fuhren sie den Fluß hinab, und bald, nachdem sie die prächtige Wasserfläche das „Breitling" passirt, kam der Kessiner Kirchthurm in Sicht und gleich danach auch das Bollwerk und die lange Häuserreihe mit Schiffen und Booten davor. Und nun waren sie heran. Jnnstetten verabschiedete sich von dem Capitän und schritt auf den Steg zu, den man, bequemeren Aussteigens halber, herangerollt hatte. Wüllersdorf war schon da. Beide begrüßten sich, ohne zunächst ein Wort zu sprechen, und gingen dann, quer über den Damm, auf den Hoppensack'schen Gasthof zu, wo sie unter einem Zeltdach Platz nahmen.
„Ich habe mich gestern früh hier einquartiert," sagte Wüllersdorf, der nicht gleich mit den Sachlichkeiten beginnen wollte. „Wenn man bedenkt, daß Kessin ein Nest ist, ist es erstaunlich, ein so gutes Hotel hier zu finden. Ich bezweifle nicht, daß mein Freund, der Oberkellner, drei Sprachen spricht; seinem Scheitel und seiner ausgeschnittnen Weste nach können wir dreist auf vier rechnen . . . Jean, bitte, wollen Sie uns Kaffee und Cognac bringen."
Jnnstetten begriff vollkommen, warum Wüllersdorf diesen Ton anschlug, war auch damit einverstanden, konnte aber seiner Unruhe nicht ganz Herr werden und zog unwillkürlich die Uhr.
„Wir haben Zeit," sagte Wüllersdorf. „Noch anderthalb Stunden oder doch beinah. Ich habe den Wagen auf 8L4 bestellt; wir fahren nicht länger als zehn Minuten."
„Und wo?"
„Crampas schlug erst ein Waldeck vor, gleich hinter dem Kirchhof. Aber . dann unterbrach er sich und sagte: ,Nein, da nichts Und dann haben wir uns über eine Stelle zwischen den Dünen geeinigt. Hart am Strand; die vorderste Düne hat einen Einschnitt, und man sieht aufs Meer."
Jnnstetten lächelte. „Crampas scheint sich einen Schönheitspunkt ausgesucht zu haben. Er hatte immer die Allüren dazu. Wie benahm er sich?"
„Wundervoll."
„Uebermüthig? frivol?"
„Nicht das Eine und nicht das Andere. Ich bekenne Ihnen offen, Jnnstetten, daß es mich erschütterte. Als ich Ihren Namen nannte, wurde er todtenblaß und rang nach Fassung, und um seine Mundwinkel sah ich ein Zittern. Aber all' das dauerte nur einen Augenblick, dann hatte er sich wieder ge-