Heft 
(1894) 82
Seite
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Botanische Streifzüge an der Rivrera.

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Pracht der Blüthen, sondern den jungen Trieben, die ihr zartes Grün vor der Gluth der südlichen Sonne durch rothen Farbstoff schützen. In früheren Zeiten mag der Blick auf diese Ebene lieblicher gewesen sein; vermochte sie doch das Auge Horace Benedict de Saussure's zu entzücken, als dieser 1787 nach Hhsres kam. Dieser hervorragende Geologe, Vater des noch berühmteren Pflanzenphhsiologen Theodore de Saussure, langte hier an einem schönen April­abend an und war von der Lage des Ortes gefesselt. Von den Fenstern der Auberge du St. Esprit" blickte er hinab auf Orangengärten, deren Bäume mit Früchten und Blüthen beladen und durch unzählige Nachtigallen belebt waren. Sanft fiel, so schrieb er, das Land bis zum Meer ab, und den Abhang schmückten vorne Gärten, weiterhin Olivenhaine und in der Ferne Pappeln. Bewaldete Höhen bildeten den Rahmen zu dem schönen Bilde.

Hyöres ist fünf Kilometer vom Strande entfernt. An diesem selbst lag einst Olbia, das Hhöres den Ursprung gab. Von Massiliern gegründet, ward Olbia von Saracenen zerstört und baute sich dann, entfernter vom Meere, an der Anhöhe auf, um den Angriffen der Corsaren nicht so unmittelbar aus- gesetzt zu sein. Der Strand, der einst Olbia trug, zeigt sich jetzt in Quadrate, wie ein Schachbrett getheilt. Das Seewasser füllt diese Quadrate. Es wird in dieselben geleitet, um dort zu verdunsten und so der Salzgewinnung zu dienen. Dem Strand gegenüber tauchen aus dem Meere die Hyörischen Inseln empor. Sie strecken sich so lang dahin, als hätten sie sich in die See zu ewigem Schlaf gelegt. Weil sie in eine Reihe angeordnet sind, hießen sie einst Stoechaden. Diesen Namen vertauschten sie im Mittelalter gegen den weit vornehmeren der goldenen Inseln. Waren es die goldenen Aepsel der Hesperiden, welche ihnen die Benennunglies ci'or" verschafften, oder der goldige Schimmer ihres glimmerreichen Bodens das läßt sich heute nicht sagen. Zum Marquisat der lies ä'or von Franz I. erhoben, sahen sie einst glänzende Zeiten. Heute werden sie nur von ärmlichen Fischern und Gärtnern bewohnt.

Jene Früchte, nach welchen die goldenen Inseln ihren Namen führen sollen, sind jetzt hier fast völlig verschwunden. Einst aber stand die Orangen­zucht von Hyöres in hoher Blüthe. Mehr denn zweimalhunderttausend Orangenbäume deckten das Land und konnten die Bewunderung der Reisenden erwecken. Wie dck Chronisten erzählen, blieb Carl IX. von Frankreich staunend vor dem mächtigsten dieser Bäume stehen und forderte seine beiden Begleiter, den König von Navarra und den Herzog von Anjou aus, mit ihm den Stamm zu umfassen. Doch hierzu reichten, so wird weiter berichtet, die sechs fürst­lichen Arme nicht aus. Zur Erinnerung an diese erlauchte Umarmung schnitt man in die Rinde des Baumes:OaroU regis amplsxu glorior", und diese Inschrift wuchs und vergrößerte sich mit den Jahren. Liegt dieser Angabe eine wirkliche Begebenheit zu Grunde? Wer kann das heute wissen. Sicher aber ist, daß die proverwalische Phantasie der Chronisten sie die Maße des Stammes übertreiben ließ. Die stärksten Orangenbäume, welche Europa jetzt kennt, befinden sich aus Sardinien; manche derselben werden aus mehr denn siebenhundert Jahre geschätzt; ein einzelner Mann vermag sie alsdann