Heft 
(1894) 82
Seite
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Kleine Religionen unserer Tage.

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neuen Religionsbildungen genommen haben. Städte wie Berlin oder Hamburg unter diesem Gesichtspunkt zu durchforschen und bei dieser Gelegenheit Daten über Verbreitung und Anhängerzahl der älteren protestantischen Secten, der Jüngerschaft des Mormonenthums, der Ueberbleibsel der freien Gemeinden und gewisserneuer Religionen" zu sammeln, wäre ein höchst dankenswerthes Unternehmen. Rücksichtlich der letzteren darf auf einige Erscheinungen hin­gewiesen werden, die an Interesse und Bedeutung hinter den von Herrn Bois ausfindig gemachtenkleinen Religionen" nicht nur nicht zurückstehen, sondern sie noch übertreffen. Abgesehen von den Anhängern des Spiritismus, die sich an einzelnen Orten Deutschlands zu besonderen bisher nirgends nam­haft gemachten Vereinigungen zusammengethan haben, darf u. A. auf die in Südrußland aufgetauchte, unzweifelhaft aber auch nach Deutschland ver­zweigte höchst merkwürdige juden-christli che Bewegung hingewiesen werden, an deren Spitze der Advocat Joseph Rabinowitsch steht. Seit der Monographie, die der verstorbene Leipziger Gelehrte Franz Delitzsch dieser an den Ebionitismus des erster: Jahrhunderts anknüpfenden Religionsgesell­schaft widmete H, hat von derselben Genaueres nicht mehr öffentlich verlautet. An sittlichem Gehalt und geistiger Bedeutung steht dieselbe ebenso hoch über dem PariserEssenismus", wie der von dem würdigen und gelehrten Thiersch nach Deutschland verpflanzte Jrv ingianismus über der auch in Deutsch­land verbreiteten Swedenborg'schen Secte. Weiter darf erwähnt werden, daß die Blawazki'scheTheosophie" ihrer Zeit auch bei uns Anhänger gefunden, daß sich im Jahre 1884 zu Düsseldorf einetheosophische Societät Germania" gebildet hat und daß über das Geschick dieser Vereinigung seit Jahr und Tag nichts mehr bekannt geworden ist.

Aber auch an Doppelgängern der Comte'schenHumanitätsreligion" hat es in Deutschland nicht gefehlt. Allzulang ist es nicht her, daß ein I)r. Eduard Loewenthal zu Berlin densocial-humanitären Cultusverband der Cogitanten" begründete und durch Zeitungsartikel und Flugschriften zur Theilnahme an demselben einlud. Seiner Zeit in den öffentlichen Blättern ebenso lebhaft erörtert, wie vr. Eduard Reich's von ähnlichen Voraus­setzungen ausgehendeKirche der Menschheit", ist der Loewenthal'sche Verband heute verschollen. Dasselbe gilt von einem direct an Comte anknüpfenden Unternehmen reformjüdisch-positivistischer Tendenz, das im Jahre 1880 von einem Wiener Schriftsteller Simchowicz in dem BucheDer Positivis­mus im Mosaismus erläutert" angekündigt und u. A. auf die Autorität Jellinek's gegründet wurde. So wenig auch die seitdem verflossenen drei Lustren Unternehmungen solcher Art günstig gewesen sind, so läßt sich doch annehmen, daß dieselben irgend welche Spuren hinterlassen haben, denen nach­zugehen der Mühe Werth wäre. Was vollends Ausgeburten des Volksaber­glaubens vom Schlage der französischen Vintrasisten, Lichtanbeter und Luci- serianer anlangt, so haben dieselben zu keiner Zeit und in keinem Lande

1882 .

u Dvcnmente der nationaljüdischen christglaubigen Bewegung in Südrußland. Erlangen