Keimich von Sybel's Heschichte der Jegründung des neuen Deutschen Meiches 1.

Von

G. Kaufmann.

^Nachdruck untersagt.s

Die Welt hat sich gründlich verändert seit den Tagen des deutschen Krieges von 1866 und den parlamentarischen Arbeiten der folgenden Jahre, in denen der norddeutsche Bund ausgerichtet wurde, die Grundlage des Deutschen Reiches, darin wir heute leben. Wohl tragen die Dinge noch denselben Namen, aber welch' andere Gefühle erregen sie in uns! Der Reichstag des norddeutschen Bundes und das Zollparlament waren nur die Vorläufer des heutigen Reichs­tages, beschränkter in ihrem Wirkungsgebiet, unvollständigere Vertretungen des deutschen Volkes — aber das Herz schlug höher, wenn diese Namen ge­nannt wurden, stolz und gebietend war ihr Ansehen, nicht entweiht durch das Vorherrschen wüster Jnteressenkämpfe und das Eindringen zweifelhafter Persönlichkeiten. Wir bedürfen dringend einer Erfrischung, einer Reinigung möchte ich fast sagen von dem Staube der Gegenwart und dem nicht weniger jämmerlichen Pessimismus, der am öffentlichen Leben lieber gar nicht Theil nimmt, als wäre man zu gut dazu, und ist doch nur zu feig oder zu träge. Solche Mahnung und solch' frische Anregung geben die beiden Bände, mit denen Sybel sein großes Werk zu Ende geführt hat. Nicht als ob das Buch in dieser Tendenz geschrieben wäre; es hat keinerlei Tendenz, es gibt die ein­fache Erzählung, das möglichst klare Bild des Geschehenen. Leser, die dem historischen Fache fern stehen, äußerten mir gegenüber, daß sie das auch un­gefähr so sagen würden, wenn sie das zu schreiben hätten, und ich finde in diesem Gefühl einen wesentlichen Zug zur Charakteristik des Werkes. Es gibt verschiedene Formen der historischen Darstellung, jede hat ihre eigenthümlichen

ch Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Von Heinrich von Sybel. VI. und VII. Band. München und Leipzig, Druck und Verlag von R. Olden- bourg. 1894. — Eine Besprechung der Bände I—V von August Kluckhohn findet sich unter gleichem Titel in den Jahrgängen 1889 und 1890 der „Deutschen Rundschau".