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Deutsche Rundschau.
auch; aber es ist doch ein Unterschied, ob man so hineingeräth in allerlei schlechte Gedanken oder ob einem derlei Dinge zur halben oder auch Wohl zur ganzen Lebensgewohnheit werden. Und nun gar im eigenen Hause . .
„Davon will ich nicht sprechen, das will ich nicht so direct gesagt haben, obwohl ich, offen gestanden, auch nach dieser Seite hin voller Mißtrauen bin, oder, wie ich jetzt sagen muß, war; denn es liegt ja Alles zurück. Aber da gibt es Außeugebiete. Haben Sie von Landpartien gehört?"
„Gewiß. Und ich wollte Wohl, Jnnstetten hätte mehr Sinn dafür ..
„Ueberlegen Sie sich das, liebe Freundin. Zwicker saß immer in Saatwinkel. Ich kann Ihnen nur sagen, wenn ich das Wort höre, gibt es mir noch jetzt einen Stich ins Herz. Ueberhaupt diese Vergnügungsörter in der Umgegend unseres lieben, alten Berlin! Denn ich liebe Berlin trotz alledem. Aber schon die bloßen Namen der dabei in Frage kommenden Ortschaften umschließen eine Welt von Angst und Sorge. Sie lächeln. Und doch, sagen Sie selbst, liebe Freundin, was können Sie von einer großen Stadt und ihren Sittlichkeitszuständen erwarten, wenn Sie beinah' unmittelbar vor den Thoren derselben (denn zwischen Charlottenburg und Berlin ist kein rechter Unterschied mehr), auf kaum tausend Schritte zusammengedrängt, einem Pichelsberg, einem Pichelsdorf und einem Pichelswerder begegnen. Dreimal Pichet ist zu viel. Sie können die ganze Welt absuchen, das finden Sie nicht wieder."
Effi nickte.
„Und das Alles," fuhr die Zwicker fort, „geschieht am grünen Holze der Havelseite. Das Alles liegt nach Westen zu, da haben Sie Cultur und höhere Gesittung. Aber nun gehen Sie, meine Gnädigste, nach der anderen Seite hin, die Spree hinauf. Ich spreche nicht von Treptow und Stralau, das sind Bagatellen, Harmlosigkeiten, aber wenn Sie die Specialkarte zur Hand nehmen wollen, da begegnen Sie neben mindestens sonderbaren Namen wie Kiekebusch, wie Wuhlheide . . . Sie hätten hören sollen, wie Zwicker das Wort aus- fprach . . . Namen von geradezu brutalem Charakter, mit denen ich Ihr Ohr nicht verletzen will. Aber natürlich sind das gerade die Plätze, die bevorzugt werden. Ich hasse diese Landpartien, die sich das Volksgemüth als eine Kremserpartie mit ,Jch bin ein Preuße^ vorstellt, in Wahrheit aber schlummern hier die Keime einer socialen Revolution. Wenn ich sage sociale Revolution, so meine ich natürlich moralische Revolution, alles Andere ist bereits wieder überholt, und schon Zwicker sagte mir noch in seinen letzten Tagen: ,Glaube mir, Sophie, Saturn frißt seine Kinder? Und Zwicker, welche Mängel und Gebrechen er haben mochte, das bin ich ihm schuldig, er war ein philosophischer Kopf und hatte ein natürliches Gefühl für historische Entwicklung . . . Aber ich sehe, meine liebe Frau von Jnnstetten, so artig sie sonst ist, hört nur noch mit halbem Ohre zu; natürlich, der Postbote hat sich drüben blicken lassen, und da fliegt denn das Herz hinüber und nimmt die Liebesworte vorweg aus dem Briefe heraus . . . Nun, Böselager, was bringen Sie?"
Der Angeredete war mittlerweile bis an den Tisch herangetreten und packte aus: mehrere Zeitungen, zwei Friseuranzeigen und zuletzt auch einen großen eingeschriebenen Brief an Frau Baronin v. Jnnstetten, geb. v. Briest.