Effi Briest. 327
.überhaupt noch nicht gesehen. Ein bißchen davon sieht man ja Wohl, aber solche Fülle . . ."
Die Zwicker lächelte. „Das ist wirklich selten, daß man eine junge Frau mit solcher Begeisterung von dem slachsenen Haar ihres Hausmädchen sprechen hört. Und nun auch noch von der Fülle! Wissen Sie, daß ich das rührend stnde. Denn eigentlich ist man doch bei der Wahl der Mädchen in einer beständigen Verlegenheit. Hübsch sollen sie sein, weil es jeden Besucher, wenigstens die Männer, stört, eine lange Stakete mit griesem Teint und schwarzen Rändern in der Thüröffnung erscheinen zu sehen, und ein wahres Glück, daß die Corri- dore meistens so dunkel sind. Aber nimmt man wieder zu viel Rücksicht auf solche Hausrepräsentation und den sogenannten ersten Eindruck und schenkt man Wohl gar noch einer solchen hübschen Person eine Weiße Tändelschürze nach der anderen, so hat man eigentlich keine ruhige Stunde mehr und fragt sich, wenn man nicht zu eitel ist und nicht zu viel Vertrauen zu sich selber hat, ob da nicht Remedur geschaffen werden müsse. Remedur war nämlich ein Lieblingswort von Zwicker, womit er mich oft gelangweilt hat; aber freilich, alle Geheimräthe haben solche Lieblingsworte."
Esst hörte mit sehr getheilten Empfindungen zu. Wenn die Geheimräthin nur ein bißchen anders gewesen wäre, so hätte dies Alles reizend sein können, aber da sie nun 'mal war wie sie war, so fühlte sich Esst wenig angenehm von dem berührt, was sie sonst vielleicht einfach erheitert hätte.
„Das ist schon recht, liebe Freundin, was Sie da von den Geheimräthen sagen. Jnnstetten hat sich auch dergleichen angewöhnt, lacht aber immer, wenn ich ihn darauf hin ansehe und entschuldigt sich hinterher wegen der Actenausdrücke. Ihr Herr Gemahl war freilich schon länger im Dienst und überhaupt Wohl älter ..."
„Um ein Geringes," sagte die Geheimräthin spitz und ablehnend.
„Und Alles in Allem kann ich mich in Befürchtungen, wie Sie sie aussprechen, nicht recht zurechtfinden. Das, was man gute Sitte nennt, ist doch immer noch eine Macht . . ."
„Meinen Sie?"
„. . . Und ich kann mir namentlich nicht denken, daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, beschieden gewesen sein sollte, solche Sorgen und Befürchtungen durchzumachen. Sie haben, Verzeihung, daß ich diesen Punkt hier so offen berühre, gerade das, was die Männer einen,Charme^ nennen, Sie sind heiter, fesselnd, anregend und, wenn es nicht indiscret ist, so möcht' ich, angesichts dieser Ihrer Vorzüge, Wohl fragen dürfen, stützt sich das, was Sie da sagen, auf allerlei Schmerzliches, das Sie persönlich erlebt haben?"
„Schmerzliches?" sagte die Zwicker. „Ach, meine liebe, gnädigste Frau, Schmerzliches, das ist ein zu großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht wirklich manches erlebt hat. Schmerzlich ist einfach zu viel, viel zu viel. Und dann hat man doch schließlich auch seine Hülssmittel und Gegenkräfte. Sie dürfen dergleichen nicht zu tragisch nehmen."
„Ich kann mir keine rechte Vorstellung von dem machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als ob ich nicht wüßte, was Sünde sei; das weiß ich