Heft 
(1894) 82
Seite
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Effi Briest.

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Frau v. Briest schob einen kleinen schwarzen Stuhl mit drei goldenen Stäbchen in der Ebenholzlehne heran, nahm Effi's Hand und sagte:

Wie geht es Dir, Effi? Roswitha sagt, Du seiest so fiebrig."

Ach, Roswitha nimmt Alles so ängstlich. Ich sah ihr an, sie glaubt, ich sterbe. Nun, ich weiß nicht. Aber sie denkt, es soll es Jeder so ängstlich nehmen wie sie selbst."

Bist Du so ruhig über Sterben, liebe Effi?"

Ganz ruhig, Mama."

Täuschst Du Dich darin nicht? Alles hängt am Leben und die Jugend erst recht. Und Du bist noch so jung, liebe Esst."

Esst schwieg eine Weile. Dann sagte sie:Du weißt, ich habe nicht viel gelesen, und Jnnstetten wunderte sich oft darüber, und es war ihm nicht recht."

Es war das erste Mal, daß sie Jnnstetten's Namen nannte, was einen großen Eindruck auf die Mama machte und dieser klar zeigte, daß es zu Ende sei.

Aber ich glaube," nahm Frau v. Briest das Wort,Du wolltest mir 'was erzählen."

Ja, das wollte ich, weil Du davon sprachst, ich sei noch so jung. Freilich bin ich noch jung. Aber das schadet nichts. Es war noch in glücklichen Tagen, da las mir Jnnstetten Abends vor; er hatte sehr gute Bücher, und in einem hieß es: es sei wer von einer fröhlichen Tafel abgerufen worden, und am anderen Tage habe der Abgerufene gefragt, wie's denn nachher gewesen sei. Da habe man ihm geantwortet:Ach, es war noch allerlei; aber eigentlich haben Sie nichts versäumt." Sieh', Mama, diese Worte haben sich mir ein­geprägt es hat nicht viel zu bedeuten, wenn man von der Tafel etwas früher abgerufen wird."

Frau v. Briest schwieg. Effi aber schob sich etwas höher hinaus und sagte dann:Und da ich nun 'mal von alten Zeiten und auch von Jnnstetten gesprochen habe, muß ich Dir doch noch etwas sagen, liebe Mama."

Du regst Dich auf, Esst."

Nein, nein; etwas von der Seele herunter sprechen, das regt mich nicht aus, das macht still. Und da wollt' ich Dir denn sagen: ich sterbe mit Gott und Menschen versöhnt, auch versöhnt mit ihm."

Warst Du denn in Deiner Seele in so großer Bitterkeit mit ihm? Eigentlich, verzeihe mir, meine liebe Effi, daß ich das jetzt noch sage, eigentlich hast Du doch Euer Leid heraufbeschworen."

Effi nickte.Ja, Mama. Und traurig, daß es so ist. Aber als dann all' das Schreckliche kam, und zuletzt das mit Annie, Du weißt schon, da Hab' ich doch, wenn ich das lächerliche Wort gebrauchen darf, den Spieß umgekehrt und habe mich ganz ernsthaft in den Gedanken hinein gelebt, er sei schuld, weil er nüchtern und berechnend gewesen sei und zuletzt auch noch grausam. Und da sind Verwünschungen gegen ihn über meine Lippen gekommen."

Und das bedrückt Dich jetzt?"