Effi Briest.
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Platz frei fei, mit ihr fahren zu dürfen. „In nuferer Kutsche ist es immer fo stickig; mein Vater liebt das. Und außerdem, ich möchte so gerne mit Ihnen plaudern. Aber nur bis Quappendorf. Wo der Morgnitzer Weg ab- zweigt, steig' ich aus und muß dann wieder in unfern unbequemen Kasten. Und Papa raucht auch noch."
Effi war wenig erfreut über diese Begleitung und hätte die Fahrt lieber allein gemacht; aber ihr blieb keine Wahl, und fo stieg denn das Fräulein ein, und kaum daß beide Damen ihre Plätze genommen hatten, so gab Kruse den Pferden auch schon einen Peitschenknips, und von der oberförsterlichen Rampe her, von der man einen prächtigen Ausblick auf das Meer hatte, ging es, die ziemlich steile Düne hinunter, auf den Strandweg zu, der, eine Meile lang, in beinahe gerader Linie bis an das Kessiner Strandhotel, und von dort aus, rechts einbiegend, durch die Plantage hin, in die Stadt führte. Der Schneefall hatte schon seit ein paar Stunden aufgehört, die Luft war frisch, und auf das weite, dunkelnde Meer fiel der matte Schein der Mondsichel. Kruse fuhr hart am Wasser hin, mitunter den Schaum der Brandung durchfchneidend, und Effi, die etwas fröstelte, wickelte sich fester in ihren Mantel und schwieg noch immer und mit Absicht. Sie wußte recht gut, daß das mit der „stickigen Kutsche" bloß Vorwand gewesen und daß sich Sidonie nur zu ihr gesetzQhatte, um ihr etwas Unangenehmes zu sagen. Und das kam immer noch früh genug. Zudem war sie wirklich müde, vielleicht von dem Spaziergang im Walde, vielleicht auch von dem oberförsterlichen Punsch, dem sie, aus Zureden der neben ihr sitzenden Frau v. Flemming, tapfer zugesprochen hatte. Sie that denn auch, als ob sie schliefe, schloß die Augen und neigte den Kopf immer mehr nach links.
„Sie sollten sich nicht so sehr nach links beugen, meine gnädigste Frau. Fährt der Schlitten aus einen Stein auf, so fliegen Sie hinaus. Ihr Schlitten hat ohnehin kein Schntzleder und, wie ich sehe, auch nicht einmal die Haken dazu."
„Ich kann die Schutzleder nicht leiden; sie haben so 'was Prosaisches. Und dann, wenn ich hinaus flöge, mir wär' es recht, am liebsten gleich in die Brandung. Freilich ein etwas kaltes Bad, aber was thut's . . . Uebrigens hören Sie nichts?"
„Nein."
„Hören Sie nicht etwas wie Musik?"
„Orgel?"
„Nein, nicht Orgel. Da würd' ich denken, es sei das Meer. Aber es ist etwas Anderes, ein unendlich seiner Ton, fast wie menschliche Stimme . . ."
„Das sind Sinnestäuschungen," sagte Sidonie, die jetzt den richtigen Einsetzemoment gekommen glaubte. „Sie sind nervenkrank. Sie hören Stimmen. Gebe Gott, daß Sie auch die richtige Stimme hören."
„Ich höre. . . nun, gewiß, es ist Thorheit, ich weiß, sonst würd' ich mir einbilden, ich hätte die Meerfrauen singen hören. . . Aber, ich bitte Sie, was ist das? Es blitzt ja bis hoch in den Himmel hinauf. Das muß ein Nordlicht sein."