Heft 
(1894) 82
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Deutsche Rundschau.

Wenn ich hundert Jahre alt würde, so werde ich Sie nicht vergessen Ich habe mich hier mitunter einsam gefühlt, und mitunter war mir so schwer ums Herz, schwerer als Sie wissen können; ich habe es nicht immer richtig ein­gerichtet; aber wenn ich Sie gesehen habe, vom ersten Tage an, dann habe ich mich immer Wähler gefühlt und auch besser."

Aber meine gnädigste Frau."

Und dafür wollte ich Ihnen danken. Ich habe mir eben ein Fläschchen mit 8a1 volatils gekauft; im Coups sind mitunter so merkwürdige Menschen und wollen einem nicht 'mal erlauben, daß man ein Fenster aufmacht; und wenn mir dann vielleicht denn es steigt einem ja ordentlich zu Kopf, ich meine das Salz die Augen übergehen, dann will ich an Sie denken. Adieu, lieber Freund, und grüßen Sie Ihre Freundin, die Trippelli. Ich habe in den letzten Wochen öfter an sie gedacht und an Fürst Kotschukoff. Ein eigen- thümliches Verhältniß bleibt es doch. Aber ich kann mich hineinfinden . . . Und lassen Sie einmal von sich hören. Oder ich werde schreiben."

Damit ging Esst. Gieshübler begleitete sie bis aus den Platz hinaus. Er war wie benommen, so sehr, daß er über manches Räthselhafte, was sie gesprochen, ganz hinwegsah.

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Esst ging wieder nach Haus.Bringen Sie mir die Lampe, Johanna," sagte sie,aber in mein Schlafzimmer. Und dann eine Tasse Thee. Ich Hab' es so kalt und kann nicht warten, bis der Herr wieder da ist."

Beides kam. Esst saß schon an ihrem kleinen Schreibtisch, einen Brief­bogen vor sich, die Feder in der Hand.Bitte, Johanna, den Thee auf den Tisch da."

Als Johanna das Zimmer wieder verlassen hatte, schloß Esst sich ein, sah einen Augenblick in den Spiegel und setzte sich dann wieder. Und nun schrieb sie:Ich reise morgen mit dem Schiff, und dies sind Abschiedszeilen. Jnn-

stetten erwartet mich in wenig Tagen zurück, aber ich komme nicht wieder... Warum ich nicht wiederkomme, Sie wissen es . . . Es wäre das Beste ge­wesen, ich hätte dies Stück Erde nie gesehen. Ich beschwöre Sie, dies nicht als einen Vorwurf zu fassen; alle Schuld ist bei mir. Blick' ich auf Ihr Haus . . ., Ihr Thun mag entschuldbar sein, nicht das meine. Meine Schuld ist sehr schwer. Aber vielleicht kann ich noch heraus. Daß wir hier abbernfen wurden, ist mir wie ein Zeichen, daß ich noch zu Gnaden angenommen werden kann. Vergessen Sie das Geschehene, vergessen Sie mich. Ihre Esst."

Sie überflog die Zeilen noch einmal, am fremdesten war ihr dasSie"; aber auch das mußte sein; es sollte ausdrücken, daß keine Brücke mehr da sei. Und nun schob sie die Zeilen in ein Couvert und ging auf ein Haus zu, zwischen dem Kirchhof und der Waldecke. Ein dünner Rauch stieg aus dem halb eingefallenen Schornstein. Da gab sie die Zeilen ab.

Als sie wieder zurück war, war Jnnstetten schon da, und sie setzte sich zu ihm und erzählte ihm von Gieshübler und dem 8al volatils.

Jnnstetten lachte.Wo hast Du nur Dein Latein her, Effi?"