Heft 
(1894) 82
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Deutsche Rundschau.

6. An Hart taub.

Möhringen, den 8. und 16. April 1827.

Palmtag, Abends 9 UhrH.

Mein Geliebter!

Ich hatte schon vor sechs Tagen einen Brief an Dich angefangen, aber in einem so ungünstigen Augenblicke, daß ich ihn nun nicht sortschicken will. Ich hatte den Deinigen, der während meiner vierzehntägigen Abwesenheit hier gelegen war, erst nach meiner Zurückkunst von Nürtingen zu Gesicht bekommen, wohin man mich um meiner Schwester willen berufen hatte. Kaum war er gelesen, so be­musterte sich Deine treue und große Liebe meiner so sehr, daß ich ihn noch ganz betäubt von dem unbegreiflichen Schicksal, welches uns betroffen, gleich zu beant­worten versuchte.

Ich übergehe nun Vieles, fast Alles, was ich Dir damals habe sagen wollen. In einer ganz anderen Stimmung als damals, die ich Wohl eine glückliche und einstweilen zufriedene nennen kann, schreib' ich heute am späten Abend noch an Dich, damit ich diese gute Viertelstunde doch mit Jemand getheilt und Jemand bezeichnet habe, den ich liebe, und zu dem ich in früheren Zeiten auch in der Noth des Herzens wie in der Freude mit aufrichtigem Zuge hingeeilt bin.

Es ist heut' ein schöner Tag gewesen, und besonders der Abend hat mir durch die Natur eine ganz sanfte Freudigkeit mitgetheilt. Ich komme soeben aus dem Freien, wo ich den guten Nagels nach seinem Dorf (eine halbe Stunde von hier! im Mondschein hinbegleitet habe, und ich schreibe dieses, im Bette sitzend, bei Licht; die Geschwindigkeit, womit ich, zumal weil meine Stube parterre ist, mich gleichsam im Sprung von der Straße hinweg ausgekleidet habe, versetzt mich in eine wunder­liche Täuschung; es wird mir heut' Nacht im Traum Vorkommen, daß mein Bett aus der Chaussee stünde.

Soeben schießt eine Wachtel (ich habe ihrer drei aus dem Boden lausen), vom Lichte geblendet, hoch auf. Mein Star sitzt ruhig, aus Einem Fuß und den Kops untergesteckt, aus einer Sesselstange und schläft: ein paar andere Singvögel auf einem grünen Forchenast, der in einen Stockscherben gesteckt ist.

Ich bin hier bei sehr guten und wohlhabenden Leuten, die mir thun, was an den Augen abzusehen ist. Ich habe wenig zu predigen, dagegen einen jungen Menschen zu unterrichten, dessen Gesellschaft mir viel Unterhaltung macht, und mit dem ich übrigens ganz aou umora eine seltsame und bequeme Edueationsmanier eingeführt habe: es ist eine artige Mischung von Kameradschaft, Vertraulichkeit und Höflichkeit; wir reden per Sie und können ungern einen Tag ohne einander sein. Ich muß Dich vor allen Dingen recht in meine Umgebung einsühren, damit Du künftig in der Einbildung den Weg leichter zu mir findest. Mein Zimmer ist groß, freundlich und neu, es hat ein Nebencabinet, das man mir für den Sommer zu meiner Vogelmenagerie eingeräumt hat. Eins von meinen Fenstern führt, sehr niedrig, auf ein kleines Gärtchen, das nicht benutzt wird, und wo wir vorigen Winter viel auf dem Finkenherd gefangen haben. Könntest Du doch, ach, dürftest Du manchmal zu mir kommen (etwa statt des L. Buttersacks, der in Degerloch, eine Viertelstunde von hier, eine Stelle nimmt, und auf den ich mich übrigens freue), besonders in den Stunden nach dem Abendessen, d. h. nach 7 Uhr, mit mir in Garten gehen hinter'm Haus! Dieser ist groß und modern angelegt. Im Hintergründe steht eine halbrunde, weiß gegitterte Hütte mit einem Strohdach auf einem schön berasten Hügel; dort blickt man unmittelbar aus eine stille Wiese, wo (außerhalb des Dorfes) ein neuer Kirchhof zu bauen angefangen wurde. Dort kann man nur Dinge wie

Tiefer Theil des aus zwei Bogen bestehenden Briefes trägt den Vermerk: 'Zuletzt zu

lesen!"

2) Pfarrer in Vaihingen auf den Fildern.