Tie Brüder Grimm.
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Gevatter Sperling", „Gretchen 1808"; „Von dem Dümmling", „Katz und Maus in Gesellschaft" und „Vom gestohlenen Heller", 1808. Gretchen heirathete früh und starb früh. Ihre Kinder sind von meiner Mutter erzogen worden; sie haben uns Kindern dann nahe gestanden und ihre Kinder und Enkel stehen uns heute nahe.
Talente vererben sich: woher hatten Gretchen und meine Mutter die Märchen? Wir denken zunächst an ihre eigene Mutter. Auch von Frau Wild sind Bilder da, aber auch von deren Mutter, von meiner Mutter Großmutter also, gibt es eine Miniatur, die ich von Kind aus kenne: eine alte Frau mit zarten, sein geschnittenen Zügen. Sie hat etwas sehr Vornehmes. Sie trägt ein Weißes Spitzentuch über dem hochanfgesteckten gepuderten Haare und einen Marderpelz, in dem sie sich Sonntags in der Portechaise zu ihrer Tochter Wild tragen ließ. Sie hieß Huber und war die Tochter des berühmten Gesner, der, wie meine Mutter nie dazuzusetzen vergaß, den Thesaurus geschrieben hat. Gesner's Nü68auru8 linguas latinaa ist der Vater der neueren lateinischen Wörterbücher. Meiner Mutter Großmutter, Gesner's Tochter also, war als Kind schon von solchem Eifer für die Philologie beseelt, daß sie, hinter einem Vorhänge im Auditorium sitzend, ihres Vaters Vorlesungen hörte. Dabei passirte es, daß sie einschlief und von ihrem Sitze herab ins Auditorium hineinfiel. Die Studenten aber hegten solche Ehrfurcht vor ihrem Professor, daß sie nicht lachten. Frau Wild war eine kleine, zierliche Frau. Zwei Märchen hat sie Wilhelm Grimm erzählt, unter denen ihr Name steht: „Strohhalm, Kohle und Bohne auf der Reise" und „Läuschen und Flöhchen", beide durch ihre Niedlichkeit in einer gewissen Verwandtschaft und durch eine graziöse Besonderheit für sich bestehend. Mit denen, welche Dortchen erzählte, haben sie aber nichts gemein.
Dortchen denn auch empfing seinen Reichthum aus anderer Quelle. Ueber der Wild'schen Kinderstube in der Sonnenapotheke, mit ihren vielen Gängen, Treppen, Stockwerken und Hinterbaulichkeiten, die ich selbst alle noch als Kind durchstöbert habe, waltete die „Alte Marie", deren Mann im Kriege gefallen war, und die jeden Abend aus ihrem „Hawermännchen" ihr Abendgebet las. Von ihr hat der erste Band der Märchen seine schönsten Märchen erhalten. Von ihr stammen: „Brüderchen und Schwesterchen": „Von der Marie", 10. März 1811; „Rothkäppchen": „Herbst 1812"; „Das Mädchen ohne Hände": „10. März 1811"; „Der Räuberbräutigam"; „Der Gevatter Tod": „20. October 1811"; „Des Schneiders Daumerling Wanderschaft"; „Dornröschen" und andere ohne Datum. Ich führe die Stücke in der Reihenfolge des Druckes an. Man fühlt sogleich, daß Dortchen und Gretchen wahrscheinlich nur weiter gaben, was die alte Marie ihnen eingeprägt hatte.
Mit den Wild's und Grimm's vereinigte sich aber eine dritte Familie, die Hassenpflug's. Ludwig Hassenpstug, der als Minister des Kurfürsten von Hessen lange Jahre später eine trübe Berühmtheit erhalten hat, die allmälig erst zu verblassen beginnt, war damals fast noch ein Kind, seine Leiden älteren Schwestern aber Dortchen Wild's und Lotte Grimm's Freundinnen. Amalie Hassenpstug (die Verfasserin des Buches: „Gretchen Verflassen" und die Freundin Annette's von Droste-Hülshosf), war damals aufblühend in Schönheit und Be-
Deutsche Rundschau. XXI, 4. 7