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Deutsche Rundschau.
Wälder und Berge, Feuer und Sterne, Flüsse und Quellen, Regen und Wind reden und hegen guten und bösen Willen und wischen ihn in die menschlichen Schicksale. Es gab eine Zeit aber, wo nicht nur die europäische Kinderwelt, sondern die Völker selbst so dachten. Wie die germanischen Völker in diesem Zustande der Kindheit in Glauben, Sprache und Ueberlieserung sich verhalten, war Jacob's Studium; Wilhelm dagegen wollte nicht bloß forschen, sondern auch das Gesundem der Gegenwart vermitteln. Wilhelm zumeist hat den Märchen ihre Form gegeben. In dieser Gestalt sind sie Schöpfungen für sich. Es ist neuerdings versucht worden, die Kinder- und Hausmärchen im Sinne einer schwächlichen Moral umzuarbeiten. Allein im Lause von achtzig Jahren nun hat sich herausgestellt, daß sie, so wie sie sind, ein unentbehrliches Buch seien, und aus dieses Urtheil dreier Generationen hin weist man die Versuche der Verbesserer heute ab.
Immer sind die Brüder wie von einem lichten Mantel umgeben gewesen, der aus Ehrfurcht gewebt war. Nur ein einziges Mal hat widriger Wind ihn zur Seite gerissen: als gegen die Doppelstatue Jacob und Wilhelm Grimm's von Berlin aus Etwas unternommen wurde.
Die gute Sache aber erlitt durch diesen Schlag doch nur eine Verzögerung. 1896 wird die Statue, wie zu hoffen steht, ausgestellt werden. Ich habe kürzlich mit den von dem Hanauer ComitS abgesandten Herren das in Eberle's Werkstätte zu München stehende Modell gesehen, und auch gewahren dürfen, Wie sie gleich mir von seiner einfachen Größe ergriffen waren. Wilhelm sitzt aus einem Sessel. Ein anfgeschlagenes Buch ruht ihm auf den Knien. Er blickt nicht hinein, sondern vor sich hin ins Weite, nachsinnend, wie ich ihn schon als Kind gesehen hatte. Als bilde sich ein Gedanke in seiner edlen Stirn. Jacob, neben ihm stehend, mit der einen Hand und straffem Arme sich auf die Lehne des Sessels stützend, blickt mit mehr gesenktem Antlitze zu dem Buche herab, als suche er noch in dessen Inhalte. Gemeinsame geistige Arbeit höchster Art kann nicht einfacher, sprechender und schöner dargestellt werden. Am Piedestale soll in einem Medaillon das Bildniß unserer Mutter angebracht werden, die beiden Brüdern bis zu den letzten Athemzügen zur Seite stand.
Dorothea Grimm's Grabstätte ist in Eisenach. Aus dem Kirchhofe liegt sie, an dem der Weg zur Wartburg heraussührt. Auf ihrem Steine ein knieen- der Engel, die Copie dessen, der in Kassel für Lotte Grimm's Grab von Werner Herrsche!, dem hessischen Bildhauer, der ein treuer Freund der Brüder Grimm gewesen ist, gearbeitet worden war.
Ludwig Grimm starb den 4. April 1863 zu Kassel.
Neben seinem Vater ruht in Berlin nun auch mein und meiner Schwester Auguste lieber Bruder Rudolf, geboren den 31. März 1830 in Göttingen, der die Kriege mitgemacht hat und jünger und kräftiger als ich, den 13. November 1889 gestorben ist.
ii. iüsk