Heft 
(1894) 82
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Deutsche Rundschau.

verloren hatten. Wenigstens in den Spitzen der italienischen Gesellschaft des sünszehnten Jahrhunderts war der Glaube an eine sittliche Weltordnung ver­loren gegangen. Die Fortuna war ihre Göttin geworden.

Ganz besonders huldreich schien sich diese der Familie Attendoli-Ssorza zugeneigt zu haben. Als ihr Ahnherr, Giacomo Attendolo, 1382 eines Tages auf dem Felde schwer arbeitete, zog eine Schar guter Cameraden, die sich von einem Condottiere hatten anwerben lassen, an dem Dreizehnjährigen vorüber. Aus ihren Zuruf, mitzuziehen, warf er seine Hacke in das Geäst eines Baumes: falle sie herunter, so wolle er weiter arbeiten, bleibe sie oben hängen, dann gehe er mit. Und sie blieb hängen, und Giacomuzzo Attendolo wurde ein großer Kriegsmann, Geliebter der Königin Giovanna II. von Neapel und Großconnetable des Königreichs.

Schließlich vermählte er sich, fünfzig Jahre alt, mit der Wittwe des Königs Ludwig's II. von Anjou, nachdem er sein ihm treu ergebenes und tapferes Kebs- weib, die ihm schon seinen berühmten Sohn Francesco und sechs andere Kinder geschenkt hatte, an einen Cameraden verheirathet hatte. Fünf Jahre darauf ertrank er nach gewonnener Schlacht in den Fluthen der Pescara, als er einem geliebten Leibpagen das Leben retten wollte. Hatten ihn schon seine Zeit­genossen Sforza genannt H, so verlieh die Königin Giovanna seinem Sohne Francesco mit allen Lehen des Vaters diesen Namen als den der Familie. Giacomo Sforza hat sein Leben lang etwas vom schlauen, haushälterischen Bauern an sich behalten. Kaum konnte er seinen Namen schreiben. Aber von seinem ersten Auftreten an war sein Sinn aus große Dinge gerichtet gewesen. Strenge Mannszucht hatte er unter seinen Scharen ausrecht zu erhalten ge­wußt, und in Geldsachen war er zuverlässig und genau. Täglich besuchte er die Messe und beichtete jährlich. Doch meinte er, es sei Heuchelei und Dumm­heit, Gott mit langen Ceremonien zu belästigen. Roh und wüst gegen wehr­lose Frauen und Männer, ließ dieser im Feldlager ausgewachsene tapfere und reisigeVater der Kriegerschast", der alle seine Soldaten mit ihrem Namen anredete, sich doch die Geschichtswerke der Griechen und Römer in italienischen Uebersetzungen vorlesen.

Noch glänzender bestrahlte der Glücksstern den Lebenslauf seines Sohnes Francesco. Er war freilich ein Mann von einer geistigen und leiblichen Frische und Kraft wie kaum ein Zweiter unter den Zeitgenossen, unter denen es wahrlich nicht an talentvollen, in jedem Betracht begabten Menschen fehlte. Er gewann schließlich die Hand der Erbin des Hauses Visconti in Mailand. Der Condottiere wurde zum legitimen Herrn eines der reichsten Fürstenthümer der damaligen Zeit, den seine neuen Unterthanen mit Jubel bei seinem Ein­züge sammt seinem Schlachtrosse in den Dom trugen. Erwägt man die Ge­schichte dieses Mannes, so begreift es sich, wie Taine in Napoleon I. einen verspäteten Nachkömmling dieser italienischen Condottieri wieder zu erkennen glaubte, der in seinen Geschicken diesen Oapitani äi Ventura auch darin nicht unähnlich war, daß sie wie er trotz aller scheinbaren Macht und alles

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